Afyra, die Herrin der Schatten
Es existieren kaum bildliche Darstellung der Schattenherrin. Eine der wenigen Ausnahmen ist diese Interpretation Afyras des jüngst verstorbenen Auris Laetus, der wegen seiner blasphemischen Angewohnheit den Namen der Schattenherrin im Mund zu führen, fälschlicher Weise gelegentlich mit Afyras Kindern in Verbindung gebracht wurde. Das Werk ist nicht öffentlich zugänglich und wird in der Thronhoff Residenz unter Verschluß gehalten.
Afyra, das Kind des Göttervaters Eru mit seiner eigenen Tochter Anais gilt den Anhängern des Kultes der Heiligen Zwillinge als Quelle und Herrin alles Bösen. Schon das laute Aussprechen ihres Namens ist Blasphemie, eine Beschwörung des Bösen und damit jedem Rechtgläubigen ein Greuel. Statt einer namentlichen Nennung wird, wenn eine Erwähnung unumgänglich ist, der Begriff Herrin der Schatten oder Schattenherrin verwendet.
Sie herrscht über das Reich der Schatten tief im Inneren Toras', einem Ort des endlosen Schreckens, in dem die Seelen der Verdammten nach ihrem Tode bis ans Ende der Zeit unermeßliche Qualen erleiden. Jene Verworfenen, die sie zu Lebzeiten anbeten, sind dazu verdammt, ihr bis in alle Ewigkeit, als Schatten unter Schatten zu dienen.
Ihre Schatten kriechen in die Seelen jeder Sünder, die sich von den Heiligen Zwillingen abwenden, die ihren niedrigsten Instinkten freien Lauf lassen, morden, betrügen, sich hemmungsloser Lust ergeben, ihre Kinder begehren und, nach den neuen Lehren des Tempels, sich nach der Versiegelung den hermetischen Künsten zuwenden. Haben die Schatten sich in einer Seele eingenistet, treiben sie diese Seelen immer tiefer in die Dunkelheit, gebrauchen sie als Werkzeuge, um andere Seelen zu verführen und auf die Abwege zu führen, die im Schattenreich enden.
Viele der Ausgestoßenen, Verfemten, Verworfenen und Vogelfreien jedoch verehren sie als ihre Schutzpatronin und beten sie an. Für jene Unglücklichen, die sich Afyras Kinder nennen, ist sie die große Behüterin, ihre einzige Hoffnung und das Reich der Schatten kein Ort des Schreckens, sondern die Zuflucht und Erlösung vom Leid ihres grausamen Schicksals.
Eru, der Göttervater begehrte seine Tochter Anais so heftig, daß er bei ihr lag und sie mit seinem Samen schwängerte. Um die Schwangerschaft Anais vor den Augen seiner Gattin Erutha zu verbergen, sandte er Anais in eine Höhle tief im Inneren Toras, um dort zu gebären.
Als Erutha Toras aus dem Chaos erschuf, hatte tief im Inneren der Welt etwas vom Urchaos und seinen Schatten überdauert. Hier tief in den Eingeweiden der Welt brachte Anais eine Tochter zu Welt, die sie Afyra nannte. Doch sie mußte auf Geheiß ihres Vaters, der auch Vater ihres Kindes war, zurück in den Palast über den Wolken.
Zurück blieben Afyra und ihre Amme und eine Handvoll Diener. Doch die Schatten aus dem tiefsten Inneren krochen in die Seelen der Amme und der Diener, die bald selbst zu Schatten wurden und so sog Afyra schon mit der Milch ihrer Amme Chaos und Dunkelheit ein.
Die Schatten hüteten sie und unterwiesen sie, lehrten sie die Geheimnisse der Finsternis und des Chaos. So wuchs die Verstoßene, die Verleugnete zu einer Frau von großer Schönheit und Macht heran, in der abgrundtiefer Haß und der Wunsch nach Rache brannte.
Sie verführte die Wächter, die das Tor zu ihrem Verließ bewachten und nichts konnte sie aufhalten, als sie in den Palast über den Wolken eindrang und von ihrem Großvater-Vater Eru ihr Geburtsrecht einforderte. Von Wut übermannt schleuderte Eru Sonnenfeuer auf seine Tochter-Enkelin, doch Afyra war stark wie er und ihr Kampf erschütterte das Himmelsgewölbe.
Erutha, die erst jetzt die Wahrheit erkannte, verfluchte Eru und verließ ihn, um nie wieder zurückzukehren. Erst das Eingreifen ihrer Mutter und ihres Bruders neigte die Waage zu Erus Gunsten. Doch dann bat Anais ihre Mutter, übermannt von Mitleid, um Afyras Leben, als sie ihre Tochter zu Füßen Erus liegen sah.
Eru aus Scham und Reue über sein Tun verbannte Afyra wieder in die Eingeweide Toras und versiegelte alle Zugänge. Der Krieg der Götter und die Auslöschung Meras und seiner Menschen ging vorbei und Afyra machte sich auf, um ihre Tochter zu finden.
Schattenwächter verwerten ihr den Einlaß. Doch sie flehte, bis Afyra selbst erschien und sprach: "Ich habe keine Mutter! Du hast mich weggelegt, verstoßen und verlassen. Wage es nie mehr mein Reich zu betreten."
Afyra aber sann seit vielen Zeitaltern auf Rache. Mit ihrer Schönheit und ihrem Zauber verführte sie die ersten Paare der neuen Menschenrasse. Sie lag bei ihnen, schenkte ihnen höchste Lust und pflanzte ihnen in diesem Taumel der Sinne das Samenkorn des Chaos in ihre Seelen.
So kam Zügellosigkeit, Grausamkeit, Raserei, Selbstsucht und Lüsternheit in die Seelen der Menschen, aber auch Intuition, schöpferische Funke und rebellischer Geist.
Afyra jedoch herrscht unangefochten in ihrem Reich und über die Seelen der Verdammten, die in ihrem Schatten wandeln.
Kommentare