Die Schöpfung
Auszug aus dem goldenen Buch der Verkündigung, kanonisierte Fassung, Tempel der Heiligen Zwillinge zu Pelorn
Ihre Erstgebornen waren Anesh und Anais, die göttlichen Zwillinge. Als sie herangewachsen waren begehrte Eru seine Tochter Anais so heftig, daß er bei ihr lag und sie mit seinem Samen schwängerte. Um die Schwangerschaft Anais vor den Augen Eruthas zu verbergen, sandte er Anais in eine Höhle tief im Inneren Toras, um dort zu gebären. So geschah es auch und sie gebar Afyra . Auf Geheiß Erus kehrte sie an die Oberfläche zurück. Doch um Afyra weiter vor den Augen Eruthas zu verbergen, befahl er Anais ihre Tochter in den Eingeweiden Toras zu belassen. Doch Afyra wuchs statt zu sterben im Dämmerlicht heran und die Schatten, die sie gerufen hatte wurden ihre Amme und ihre Diener.
Erutha brachte Eru über den Wolken noch zwei Söhne und eine Tochter zur Welt. Um ihnen eine angemessene Wohnstatt zu schaffen übertrug Eru den Zwillingen die Aufgabe sie zu gestalten und mit Leben zu füllen. Anesh ließ die Berge wachsen und Anais die Flüsse strömen, Anesh schuf die Tiere des Waldes und des Landes, Anais das Getier in den Flüssen und im Okeanus.
Nahezu vergessen war Afyra in ihrem Verließ tief in den Eingeweiden Toras und Anais schwieg aus Scham und Furcht vor Eru als die göttlichen Zwillinge die erste Menschenrasse schufen, sich und ihren Geschwistern als Dienstboten und Spielzeuge. Sei schufen sie nach ihrem Ebenbilde, schön und stark, voll Kraft und Anmut, doch ohne eigenen Willen, denn Eru hatte es verboten.
Als Erutha Toras aus dem Chaos erschuff hatte im Inneren der Welt etwas vom Urchaos überdauert und es war Teil der Schatten, die Afyra umsorgten und behüteten. Schon mit der Milch ihrer Amme sog sie etwas vom Chaos ein. Haß brannte in ihr, der Zurückgelassen und Verleugneten. Sie verführte den Wächter, den Eru an die Pforte zur Oberwelt befohlen hatte. Nichts konnte sie aufhalten. Sie drang in das Schloß über den Wolken ein und forderte von Eru der ihr Vater und Großvater war, ihr Geburtsrecht. Erutha die erst jetzt die Wahrheit erkannte, verfluchte Eru und verließ ihn und das Schloß um nie wieder zurückzukehren.
Wut übermannte Eru und er schleuderte Sonnenfeuer auf seine Tochter-Enkelin, doch Afyra war stark wie Eru und ihr Kampf erschütterte das Himmelsgewölbe. Erst das Eingreifen der göttlichen Zwillinge neigte die Waage zu Erus Gunsten. Doch als Anais ihre Tochter blutend liegen sah, warf sie sich vor Eru auf die Knie und flehte um Afyras Leben. Große Reue und Verzweiflung über den Verlust Eruthas war über Eru gekommen und so verbannte er Afyra statt sie zu erschlagen wieder in die Eingeweide Toras und versiegelte den Zugang. Dann verließ auch er den Palast um nach Erutha zu suchen.
Nach einer Ewigkeit des Suchens nahm er erschöpft seinen Wohnsitz auf dem Stern der, des Morgens und des Abends, wie ein Leuchtfeuer brennt, der seither Erus Wacht heißt, um nach Erutha Ausschau zu halten. Erutha aber zieht in ihren Wagen, gezogen von sechs Nachtpferden, über das Firmament und in manchen Nächten kann man am Himmel die Feuerbahn sehen, die ihre Pferde ziehen, wenn sich ihre Mähnen zu nah an einem Himmelsfeuer entzünden und für einen Atemzug lang brennen.
Streit brach aus unter den Kindern Erus und Eruthas. Die jüngeren Söhne forderten mehr an Macht und sie brachen Erus Gebot. So lagen sie nicht nur oft bei den Menschenfrauen, sie schwängerten sie auch und so wurden die Halbgötter geboren. Sie hatten nicht die Macht der Götter und waren nicht unsterblich, doch ihre Lebensspanne war lang und ihre Macht beträchtlich. Sie machten sich das Menschengeschlecht untertan und herrschten über sie als Könige. Konal, der zweite Sohn Erus war es, der jene Königs-Halbgötter aufwiegelte und viele von ihnen mit ihren menschlichen Gefolge gegen das ältere Geschwisterpaar führte.
Der Krieg der Götter brachte das Himmelsgewölbe ins Wanken, doch die Macht des Sonnenfeuers, über die Anesh nun gebot, obsiegte letzten Endes. Meras aber, das Schlachtfeld, lag verwüstet und zerstört unter dem Himmelsrund. Konal wurde seine Macht genommen und mit Metall, das im Sonnenfeuer geschmiedet war, am tiefsten Punkt des Okeanus an einen Felsen geschlagen. Jeden Morgen fallen die Ungeheuer der Tiefe über den Wehrlosen her, um sich an seinem Fleisch zu mästen und jede Nacht wächst es nach, sodaß seine Qualen niemals enden. Manchmal rüttelt Konal in wüsten Schmerz an seinen Ketten und dann bebt Toras und der Okeanus brandet in Springfluten an die Gestade Meras.
Auf Geheiß Anesh ließ Anais die Wasser steigen, bis der Okeanus über dem Antlitz Toras zusammenschlug, die Welt reinigte von Tod, Verwüstung, die letzten Halbgötter und die Reste der ersten Menschenrasse ertränkte. Nur jene fünf Halbgötter, die Getreuen, die auch in der Zeit der schlimmsten Bedrängnis nicht von der Seite der Zwillinge gewichen waren, entrückte Anesh in den Palast über den Wolken und zum Lohn ließ er ihnen vom Nektar der Unsterblichkeit kredenzen.
Fondras, der jüngste Sohn Erus und Keldis, seine Schwester, die kaum Anteil an der Erhebung ihres älteren Bruders Konals gehabt hatten, lebten fortan unter den Augen der Zwillinge im Palast über den Wolken. Dann ließ Anais die Wasser sinken und Meras die Welteninsel erhob sich wieder über den Okeanus, doch sie war wüst und leer. Anais ließ die Ströme wieder fließen und Anesh schuf Wald und Getier aufs Neu.
Als Anesh ermattet von seinem göttlichen Tun in Schlummer sank, schlich sich Anais aus dem Palast über den Wolken. Ihr Herz war voll Kummer und Schmerz über das Geschick ihrer Tochter und sie war fest entschlossen das Verbot Erus, ihres und Afyras Vater, zu brechen und den Bann, den er über den Zugang zu Afyras Verbannungsort gelegt hatte, zu lösen. Doch das Tor stand offen und grimmige Schattenwesen versperrten ihr den Weg. Sie wichen nicht bis Afyra selbst erschien. Sie lachte nur höhnisch, als Anesh von ihrem Kummer und ihrer Liebe zu ihr sie sprach. „Ich habe keine Mutter!“: sprach Afyra. „Du hast mich weggelegt, verstoßen und verlassen. Du warst nicht da als ich deiner am dringesten bedurft hätte! Du warst niemals da! Jetzt bedarf ich deiner nicht mehr! Dieses eine Mal lasse dich noch ziehen, denn du hast bei unserer beider Vater um mein Leben gebeten. Die Blutschuld ist ich damit getilgt! Doch du sollst meinen Zorn kennenlernen versuchst du nochmals mein Reich zu betreten. Jetzt hebe dich hinweg, ich bin deines Anblicks müde!“
Blutenden Herzens kehrte Anais in den Palast über den Wolken zurück und wurde nicht mehr froh. Als Anesh die Wälder mit neugeschaffenen Getier bevölkert hatte sprach er zu Anais: „Laß uns eine neue Menschenrasse schaffen, damit wir die Anbetung erfahren, die uns zukommt, zu unserer Zerstreuung und Erbauung.“ So schufen die Zwillinge eine neue Menschrasse, aber sie rissen jede Seele entzwei und gaben einen Teil davon der Frauen, den Anderen dem Mann, damit der Hunger aufeinander und die Sehnsucht nach Ganzheit in den Menschherzen brenne und sie nicht mehr an den Pforten des Palastes über den Wolken rütteln mochten .
Afyra aber sann seit vielen Zeitaltern schon auf Rache und als die ersten Menschenpaare Hand in Hand über Meras Erde schritten, sah sie ihre Zeit gekommen . Sie erschien des Nächtens in die Behausungen der ersten Menschen und verführte mit ihrem Zauber und ihrer unirdischen Schönheit Männer und auch Frauen. Sie lag bei ihnen, schenkte ihnen den Rausch der höchsten Lust und pflanzte in diesem Taumel das Samenkorn des Chaos in ihre Seelen. So kam Zügellosigkeit, Grausamkeit, Raserei, Selbstsucht und Lüsternheit in die menschliche Seelen der Menschen, aber auch die Intuition und der schöpferische Funke.
Als Anesh Afyras Treiben entdeckte und sah das der Same, den sie gesäht hatte, Früchte trug und ihn jeder neuen Menschengeneration keimte, geriet er über Afyras Schändung seiner Schöpfung in höchste Wut und befahl Anais die Wasser wieder steigen zu lassen um auch diese Menschenrasse auszutilgen, doch Anais verweigert sich ihm. Der Streit war furchtbar und entzweite die Zwillinge. Anesh nahm in furchtbarem Zorn das Sonnengold an sich und zog sich in seinen Flügel des Palastes zurück. Anais aber teilte das Mondsilber mit ihrer Schwester Keldis und zog sich in das Gartenschloß des Palastes zurück. Seitdem blieb ein Thron im großen Saal des Palastes stets verwaist, den Anesh besteigt seinen Thron nur des Tages und Anais des Nächtens. Sie sprachen nicht mehr miteinader, nur durch Keldis senden sie Botschaften. Der jüngsten der Geschwister, Fordas, wurde des Zwistes schließlich so überdrüssig, daß er seiner göttlichen Macht entsagte, den Palast für immer verließ und seitdem als Fordas der Wanderer unsterblich durch Meras zieht. Afyra jedoch herrscht über ihr Schattenreich und die Seelen der Verdammten, die sich ihr verschreiben haben und nun für alle Ewigkeit in ihrem Schatten wandeln.
Am Anfang war nichts als Chaos und darin eingeschlossen das Ei des Werdens. Dann zerbrach das Ei und gebar Licht. Aus dem Licht traten Eru und Erutha. Sie sprachen die Worte die Tag von Nacht schieden. Eru formte aus dem Licht die Sonne, die Sterne und die Monde, Erutha aus dem Chaos Toras, die Welt. Doch wüst und leer war Toras und so teilte Erutha die Wasser des Okeanus und formte die Welteninsel Meras. Über den Wolken errichteten sie sich einen Palast aus Sonnengold und Mondsilber.
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