Askvidda
Das Asche-Hochland
Das atmende Hochland
Im Sommer glitzert das Eis auf den Felsen wie Glas, während die Sonne kaum untergeht und der Wind warm vom Süden her streicht. Im Winter hingegen versinkt die Welt in Dunkelheit, der Himmel erstarrt und die Erde dampft aus jedem Riss – ein stiller Kontrast aus Kälte und Glut.
Hoch im Norden erhebt sich Askvidda – ein endloses Hochland aus schwarzem Gestein, Rauch und Schnee. Hier atmet die Erde selbst. Unter der gefrorenen Kruste pulsiert eine Glut, die niemals erlischt, und über den Felsen liegt ein Schleier aus Dampf, der die Grenzen zwischen Leben und Tod verwischt. Der Wind trägt den Geruch von Schwefel und Eis, das ferne Grollen von Beben mischt sich mit dem Flüstern des Nebels. In klaren Nächten färben Polarlichter den Himmel in Grüntönen, die sich auf den Basaltflächen spiegeln, als läge unter ihnen ein zweiter Himmel – glühend, still und uralt.
Am Tag brennt die Sonne blass und kalt über der Ebene, taucht die dampfenden Felder in fahles Licht. Nachts scheint der Dampf selbst zu leuchten, als würde der Atem der Erde unter der Oberfläche glimmen. Die Luft ist trocken und scharf, voller metallischer Noten, und in der Ferne klingt das ständige Knacken des gefrorenen Gesteins.
Askvidda ist kein Ort, an dem man lebt; es ist ein Ort, an dem man zuhört. Jeder Laut, jedes Beben, jeder Riss im Stein scheint eine Botschaft zu tragen. Die Einsiedler und Pilger, die hier verweilen, nennen dies Gardnars Atem – die Stimme des Feuers, die unter der Haut der Welt schläft. Man sagt, wer lange genug schweigt, könne ihn hören – und wer antwortet, verliert den Verstand oder findet eine Wahrheit, die kein Mensch tragen kann.
Geographie des Feuers
Askvidda liegt nördlich von Frostvir – ein Hochplateau auf über zweitausend Metern Höhe. Das Land ist von Basalt und Schwefel geprägt, durchzogen von Spalten, Kratern und dampfenden Gräben. Leuchtende Fumarolen brechen durch die Schneedecke und lassen den Boden selbst im Winter atmen. An den Rändern fällt das Plateau steil in Fjordtäler ab, wo Gletscher kalben und Wasserfälle in Nebel verschwinden.
Im Zentrum zieht sich ein gewaltiger Riss – eine offene Wunde der Erde, aus der Rauch und flüssiges Gestein aufsteigen. Zwischen Aschefeldern und Wärmetaschen, in denen Moose und hitzetolerante Pflanzen gedeihen, schwingt ein leises Grollen, als pulsiere ein Herz unter dem Stein.
Nach Norden hin senkt sich das Land zum Meer, wo die vorgelagerten Thuvaar-Inseln beginnen – ein Übergang von Schroffheit zu Nebel und Grün. Dort scheint das Gleichgewicht der Elemente, das in Askvidda in Spannung ruht, in stiller Harmonie fortzuleben.
Eine Welt der Extreme
Askviddas Natur ist eine Welt der Extreme – ein Zusammenspiel aus Eis, Feuer und Stein, das kaum Ruhe kennt. Das Klima ist subpolar und unerbittlich: Die Sommer sind kurz und karg, die Winter lang und dunkel. Die Ostwinde bringen trockene, kalte Luft vom Inland, doch an den Rändern steigen Nebel auf, geboren aus dem Zusammentreffen von Eis und Geothermalhitze. Der Himmel ist selten klar, meist in Bewegung: Dampf, Schnee und Rauch verweben sich zu einer endlosen Wand aus Licht und Schatten.
Nur in Senken, wo der Boden durch Fumarolen erwärmt wird, gedeihen Moose, Flechten und vereinzelte schwarze Gräser, die den Ascheboden wie mit Schatten überziehen. Polarfüchse und Schneewölfe durchstreifen das Gebiet, seltene Vögel – Aschenpfeifer genannt – nisten in Felsnischen und singen mit heiserer Stimme. An den Randzonen ziehen im Sommer Rentierherden vorbei, doch das Innere bleibt menschenleer – ein Reich der Stille und des Gesteins. Wenn der Wind richtig steht, scheint die Erde selbst zu summen – ein tiefer, vibrierender Klang, den viele als Stimme Gardnars deuten.
Unter der Oberfläche zirkulieren Wasseradern: Schmelzwasser sickert in heiße Gesteinsschichten, steigt als Dampf auf und bricht in Quellen hervor – schwefelhaltig, glühend, lebendig. Ganze Täler färben sich gelb vom Ausfluss dieser mineralischen Wässer, und selbst bei minus zwanzig Grad bleibt der Boden dort schneefrei. In alten Gräben fließt Wasser, das so heiß ist, dass es in der Luft zischt, während darüber Eiskristalle tanzen – Orte, die den Pilgern als Schwellen zwischen Welt und Tiefe gelten.
Leben in der Stille
Der Alltag in Askvidda ist von Entbehrung und Ritual geprägt. Die wenigen Bewohner folgen einem strengen Rhythmus: Morgens entzünden sie kleine Feuer über heißen Quellen, um Rauchopfer darzubringen, und markieren den Beginn des Tages mit einem leisen Gesang, der die Bewegung der Erde ehrt. Abends kehrt jeder in seine Hütte zurück, um in der Stille zu meditieren oder Runen in Stein zu ritzen – kleine Botschaften an den Gott unter ihren Füßen.
In den Tälern entlang der geothermischen Linien liegen Runenklöster und Forschungsstationen, einfache Steinhütten, deren Mauern vom Wind geglättet sind. Pilger errichten kleine Türme aus Asche und Stein, um den Weg zu markieren, und folgen uralten Pfaden, die mit Schwefelpfählen gesäumt sind. Die Bewohner jagen Polarfüchse, tauschen Felle und Gesteinsproben gegen Fisch und Algen aus Frostvir. Ihre Nahrung ist spärlich, doch ihre Disziplin ist Legende – sie glauben, dass Stille und Entbehrung den Geist schärfen.
Jenseits der steilen Nordküsten liegen die Thuvaar-Inseln, die Askvidda vorgelagert sind – ein Reich aus Nebel, Dampf und Atem. Dort ist das Klima milder, die Erde grüner, das Meer lebendig. Viele, die den Ruf Gardnars spüren, leben dort, an der Schwelle zwischen Feuer und Wasser. Sie gelten als Bewahrer des Gleichgewichts – jene, die das Flüstern der Asche und den Gesang des Meeres zugleich verstehen. Man sagt, die Mönche von Askvidda reisen im Sommer dorthin, um „die zweite Stimme“ zu hören – die Antwort des Wassers auf den Atem der Erde. Zwischen den Inseln und dem Hochland besteht ein stilles Band, ein Zyklus aus Rauch und Salz, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Der Herzschlag der Erde
Askvidda gilt als das heilige Herz der Erde – ein Ort, an dem die Grenze zwischen Schöpfung und Zerstörung aufgehoben ist. Die Gelehrten nennen es ein geomantisches Zentrum, die Pilger nennen es Gardnars Haut. In der Lehre der Runenwanderer ist Askvidda der Ursprung der Resonanz, der Ort, an dem Klang und Materie noch nicht getrennt waren.
Die Fumarolen gelten als Tore zu Gardnars Reich, die Kraterseen als seine Augen. Wenn sich der Dampf verdichtet und das Grollen anschwillt, heißt es, der Gott bewege sich – nicht zornig, sondern atmend, als Erinnerung an seine Macht. Wer hier meditiert, soll den Rhythmus der Welt hören können, ein tiefes, vibrierendes Summen, das durch Stein und Herz zugleich dringt.
Die Pilger erzählen, dass in Nächten der größten Kälte die Polarlichter über den Kratern tanzen und Gardnars Schatten durch das Licht wandelt – ein Zeichen dafür, dass das Feuer nie schläft. Manche schreiben Runen in den Schnee und warten, bis der Wind sie fortträgt, um zu sehen, welche Zeichen zurückbleiben. Andere stellen Gefäße über dampfende Quellen und lauschen dem Klang des aufsteigenden Dampfes, als spräche die Erde selbst.
Am Ende ihrer Reisen sprechen die Pilger ein altes Wort, das aus der Glut selbst stammen soll:
„In der Stille des Steins atmet die Welt.“
Dieser Spruch fasst die Essenz Askviddas zusammen – die Vereinigung von Schweigen und Bewegung, Feuer und Frost. Askvidda ist das Land der Offenbarung und der Gefahr. Hier wird Wissen nicht gelernt, sondern gehört – und wer zu lange lauscht, läuft Gefahr, in die Tiefe gezogen zu werden. Denn Gardnar ist kein gnädiger Lehrer, sondern das Feuer selbst – schöpferisch, zerstörerisch, notwendig.
