Thrainmaar
Die Runensteingeest von Askvidda
Wo der Wind Worte trägt und der Stein sie bewahrt.
Einleitung & Atmosphäre
Weit über den grauen Ebenen der Aschesenken erhebt sich Thrainmaar, die Runensteingeest von Askvidda. Kein Gebirge, sondern ein endloses Meer aus schwarzem Stein, Wind und Stille. Hier bewegt sich nichts – und doch scheint alles in langsamen Wellen zu atmen, als würde die Erde selbst unter der Schicht aus Asche flüstern. Diese erste Regung führt den Blick sanft weiter in die Landschaft, die einem gefrorenen Ozean gleicht, dessen Wogen sich in obsidianischem Glanz bis zum Horizont verlieren.
Über allem liegt ein bleiches, metallisches Licht, das keine Wärme kennt. Wenn der Wind darüber streicht, ertönt ein fernes, vielstimmiges Wispern – als würde der Stein selbst sprechen. Manche hören darin Worte, andere nur Sturm. Doch wer lange genug lauscht, spürt, dass der Wind hier mehr weiß, als er verrät.
Geografie & Natur
Trotz der scheinbaren Ödnis finden sich in den geschützten Furchen vereinzelt Zeichen von Leben. Zwischen den Scherflächen wachsen niedrige Flechten, deren silbrige Häute das Mondlicht reflektieren, und kleine Insekten, von den Einheimischen Aschenschwirrer genannt, huschen über die warmen Gesteinsadern. Selten zeigen sich graue Gleitvögel, die den Aufwinden folgen und in der Luft nach Spuren von Wärme suchen.
Thrainmaar zieht sich in langen, wellenförmigen Rücken über das askwiddische Hochland. Zwischen den Furchen schimmern Splitter aus obsidianischem Glas, die das Licht der Monde brechen und zu einem kalten Glühen verweben. Der Wind streicht unaufhörlich darüber hinweg, schleift die Flächen glatt, fräst Runen in den Stein und trägt den Klang weiter in die Weite Askviddas.
Frost und Feuer haben über Jahrtausende an dieser Landschaft gearbeitet. Die Oberfläche ist zerfurcht von Spalten, Scherflächen und Klüften – Linien, die wie Schriftzeichen verlaufen, mal fein wie Äderchen, mal tief wie Wunden. Manche dieser Runenrisse führen in weite, hallende Höhlen, in denen der Wind singt. Andere öffnen sich plötzlich zu dampfenden Spalten, als atmete der Boden selbst.
Der Wind ist der Herr dieses Landes. Er kommt aus allen Richtungen, trägt Asche, Schnee und Stimmen zugleich. Die Gelehrten halten die Runen für natürliche Formationen, doch die Pilger nennen sie die Sprache der Erde – das Gedächtnis der Welt.
Erscheinung & Stimmung
Tagsüber zeigt Thrainmaar ein anderes Gesicht: ein Meer aus dunklem Gestein, dessen Flächen von Wind und Staub gezeichnet sind. Die Temperaturen schwanken stark, und die Luft ist trocken, erfüllt vom metallischen Geruch des Steins. Erst mit Einbruch der Dämmerung offenbart sich die eigentliche Magie dieser Geest.
Nachts verwandelt sich Thrainmaar. Unter dem blassen Licht der Monde beginnen die schwarzen Steine zu schimmern, als wären unzählige Zeichen in sie eingebrannt. In dieser Stunde scheint die Geest zu leben – jede Böe ein geflüstertes Wort, jeder Schatten eine Erinnerung.
Reisende berichten, sie hätten Runen gesehen, die sich bewegten, Linien, die sich im Augenblick des Hinsehens veränderten. Manche glauben, der Stein selbst erinnere sich – und forme die Welt immer neu, im Atem des Windes.
Mythos & Bedeutung
Der Mythos prägt das alltägliche Leben der Bewohner Askviddas tief. Jedes Jahr feiern sie die Nacht der Erstzeichen, ein stilles Runenfest, bei dem Worte in den Wind gesprochen und Steine mit glühender Asche gezeichnet werden. Pilger und Runenschreiber kommen, um alte Inschriften zu erneuern oder neue Bitten in den Fels zu ritzen – Rituale, die das Band zwischen Menschen, Wind und Stein lebendig halten.
In alten Überlieferungen Askviddas heißt es, hier, auf Thrainmaar, seien die ersten Runen in den Fels gebrannt worden – als Gardnars Atem den Himmel berührte. Die Zeichen seien nicht geschaffen, sondern geboren worden: aus der Verbindung von Feuer, Stein und göttlichem Wort.
Die Runensteingeest gilt seither als heiliger Boden. Wer sie betritt, bringt ein Opfer dar – einen Splitter Glas, einen Tropfen Blut oder ein Wort, das man dem Wind anvertraut. Denn man sagt: Was hier gesprochen wird, bleibt – in Sturm und Stein zugleich.
Für die Völker Askviddas ist Thrainmaar das Gedächtnis der Welt. Hier werden keine Geschichten erzählt, sondern eingegraben. Jeder Windstoß trägt eine Spur, jede Narbe im Gestein ist eine Erinnerung, älter als Sprache und Zeit.
Beziehungen & Einfluss
Die Nähe zu Isfjorr und den Gardnar-Kulten ist Quelle von Wissen, aber auch von Spannungen. Forscher und Priester streiten um die Deutung der Runen: Während die Isfjorrer sie als geologische Formationen verstehen, sehen die Kultanhänger in ihnen göttliche Zeichen. Diese Gegensätze führten wiederholt zu Konflikten über Zugangsrechte und die Auslegung alter Inschriften. Manche Expeditionen verschwanden spurlos – ein Rätsel, das den Glauben an die Macht des Steins nur noch stärkt.
Thrainmaar markiert den nördlichen Rand der Aschesenken und erhebt sich über den dampfenden Ebenen von Várhask. Die beiden Landschaften gelten als Geschwister – die eine träumend, die andere wach. Priester der Gardnar-Kulte ziehen in stillen Prozessionen von der Aschesenke hinauf zur Runensteingeest, um den Kreislauf von Schlaf und Erwachen zu vollziehen.
Wissenschaftler und Runenforscher aus Isfjorr versuchen seit Generationen, die Muster der Felsen zu kartieren. Doch keine Karte bleibt je gleich. Was sie am Morgen zeichnen, ist am Abend bereits verändert. So heißt es in Askvidda: Der Stein schreibt zurück.
Zitat
„Der Wind ist der Schreiber, der Stein das Gedächtnis.“
– Sprichwort der Aschepfade
