Die Odyssee nach Paradise Island
Teil 1: Der Fall von Pelaris und die Flucht durch die Unterströmungs-Höhlen
Die verheerende Belagerung
Puerto Diamante, einst eine stolze Bastion des Marine Corps, lag in Trümmern. Die schwarzen Banner von Areus Varkal wehten über dem Horizont, wo seine Flotte die Küste blockierte. Asche regnete wie Schnee, und Schreie hallten über die zerklüfteten Straßen. Gebäude, die einst von Leben erfüllt waren, glichen nur noch rauchenden Ruinen. Diego Montez und Aezra Blackcross hatten die Zerstörung hautnah miterlebt und wussten: Ihre einzige Hoffnung lag in der Flucht.
„Wir haben nicht viel Zeit“, flüsterte Diego, sein Blick huschte zwischen den Schatten der einstürzenden Gebäude hin und her. „Varkals Truppen rücken schnell vor. Wir müssen tiefere Deckung finden.“ Aezra, ihre Pistolen fest in den Händen, scannte die Umgebung mit ihren scharfen Dhampir-Sinnen. Doch dann hörten sie es: ein leises, verzweifeltes Stöhnen.
Die Rettung von Wylla
Die Stimme führte sie zur eingestürzten Akademie für Navigation, wo die Trümmer in der Mitte zu einem unheimlichen Berg aufragten. Unter einem massiven Pfeiler lag ihre Freundin Wylla Wanderlust, ihre Beine blutverschmiert und ein zerbrochenes Brett über ihren Schultern. Der Schmerz in ihren Augen war tief, doch als sie die beiden sah, blitzte ein Funken Hoffnung in ihrem Blick auf.
Diego kniete sich sofort hin, während Aezra die Umgebung absicherte. „Wir kriegen dich da raus“, sagte er mit ruhiger Entschlossenheit. Mit vereinten Kräften stemmten sie den Pfeiler an, die Muskeln angespannt, während das Holz ächzte. Wylla biss die Zähne zusammen, als Diego sie vorsichtig herauszog. Ihr Bein war unnatürlich verdreht – ein klares Zeichen für einen Bruch.
„Das wird nicht leicht,“ murmelte Aezra, ihr Blick durchdringend. Wylla jedoch schüttelte den Kopf. „Ich komme zurecht.“ Mit Diego improvisierte sie eine Schiene aus einem geborstenen Balken und Bandagen aus Stoffresten. Trotz der Schmerzen richtete sie sich auf und stützte sich auf einen Stock, den Diego ihr reichte.
„Danke“, murmelte sie leise. Doch in ihren Augen brannte ein unerbittlicher Wille. „Lasst uns weitergehen.“
Die Botschaft von Davian
Nach Stunden des Versteckens und Navigierens durch die verwüsteten Straßen und Trümmer von Puerto Diamante erreichten Diego Montez, Aezra Blackcross und Wylla Wanderlust schließlich das Ende der Ruinenstadt. Die Geräusche von Soldaten und knirschenden Trümmern verblassten hinter ihnen, während sich die Gruppe durch die wilderen Teile von Pelaris Island, bis zum anderen Ende der Insel begab. Hier, weit entfernt von den Schrecken der Belagerung, boten hohe Felsformationen und dichte Vegetation ein Versteck, das sie dringend benötigten.
Wylla sank erschöpft auf einen moosbewachsenen Stein, ihr improvisierter Stock klapperte gegen die Erde. Ihr gebrochenes Bein pulsierte vor Schmerz, doch sie biss die Zähne zusammen. Aezra stand Wache, ihre Augen und Ohren wachsam auf jede Bewegung im Unterholz gerichtet, während Diego begann, ein kleines Lager einzurichten. Trotz der Erschöpfung der Gruppe war die Stille der Wildnis eine willkommene Abwechslung zur Verwüstung, die sie hinter sich gelassen hatten.
Als die Nacht hereinbrach, schien es für einen kurzen Moment, als wären sie in Sicherheit. Doch plötzlich hielt Diego inne, sein Gesicht verzog sich, als würde ihn etwas berühren, das die anderen nicht sehen konnten. Seine Hand wanderte unbewusst zu seiner Schläfe, und ein Kribbeln durchzog seinen Geist. „Was ist los?“ fragte Aezra und trat näher.
„Ich...“ begann Diego, doch seine Stimme stockte. Dann hörte er sie – eine vertraute, kraftvolle Stimme, die direkt in seinen Geist zu sprechen schien. „Ich lebe noch... Bendris auch. Paradise Island. Treffen in Kanohana.“
Es waren nur wenige Worte, doch sie trafen ihn wie ein Blitz. Die Stimme ihres Kapitäns, Davian Flynt, klang lebendig und ungebrochen. Diego blinzelte, als würde er aus einem Traum erwachen, und sah Aezra und Wylla mit neuem Ernst an.
„Davian...“ flüsterte er, fast ungläubig. „Er lebt. Er hat mit mir gesprochen – Bendris ist auch bei ihm. Sie sind auf Paradise Island, in Kanohana.“
Wylla, die ihren Kopf müde gegen einen Baumstamm gelehnt hatte, hob ihn abrupt. Trotz des Schmerzes in ihren Augen blitzte ein Hauch von Entschlossenheit darin. „Dann haben wir jetzt ein Ziel“, sagte sie leise. „Aber wie kommen wir dorthin? Bis nach Paradise Island ist es nicht gerade ein Katzensprung.“
Die Nachricht ihres Kapitäns gab ihnen neue Kraft, doch sie verstärkte auch die Dringlichkeit ihrer Situation. Sie mussten Pelaris Island verlassen, und den gefährlichen Ozean überqueren. Nur so könnten sie ihre Kameraden wiedersehen und ihre Reise fortsetzen. „Wir schaffen es“, sagte Diego mit festem Blick. „Davian wartet auf uns. Und wir lassen ihn nicht hängen.“
Die Reise durch die Unterströmungs-Höhlen
Mit Wyllas unerschütterlichem Wissen über Gezeiten und Navigation fanden sie schließlich den Eingang zu den legendären Unterströmungs-Höhlen von Pelaris Island. Der Eingang war verborgen wie ein gut gehütetes Geheimnis, hinter einem Vorhang aus dichten Moossträngen und losen Felsbrocken, die mit der Zeit von der Natur überwachsen worden waren. Ein eisiger Luftzug strömte aus der Tiefe der Höhlen hervor, als wollte er sie davor warnen, weiterzugehen.
„Das ist unser Weg“, sagte Wylla und stützte sich schwer auf ihren Stock. Trotz ihres gebrochenen Beins und der offensichtlichen Erschöpfung in ihrem Gesicht war ihre Stimme ruhig, fast unerschütterlich. Diego schob einige Zweige zur Seite und half ihr, den Einstieg hinunterzuklettern. Aezra ging voran, ihre scharfen Augen und Sinne auf jede Bewegung in der Dunkelheit gerichtet. „Wenn das unser Weg ist, dann sollten wir uns beeilen. Es riecht, als würde diese Höhle schon lange auf Beute warten“, murmelte sie, während ihre Hände an den Griffen ihrer Pistolen ruhten.
Der Innenraum der Höhlen verschluckte jedes Licht. Nur die schwache Flamme einer Laterne, die Diego trug, warf zuckende Schatten auf die glitschigen Wände. Das stetige Tropfen von Wasser und das Rauschen der Strömungen schufen ein unheimliches Echo, das wie ein Flüstern durch die engen Gänge hallte. Die Passage war klaustrophobisch. Die Wände aus kaltem Stein schienen auf sie zu drücken, und das Wasser, das sich an ihren Füßen sammelte, war so kalt, dass es bis in die Knochen zog.
Aezra führte die Gruppe an, ihre Sinne spürten jede Veränderung in der Luft und jede subtile Bewegung im Wasser. „Die Höhlen leben“, flüsterte sie und blieb abrupt stehen. „Ich spüre etwas… etwas, das sich bewegt, aber nicht sehen lässt.“ Wylla, die sich mit ihren Karten und ihrer genauen Beobachtung voll auf die Navigation konzentrierte, sah nur kurz auf. „Wir dürfen uns nicht ablenken lassen. Die Strömungen sind tückisch genug. Wenn wir uns verirren, kommen wir hier nie wieder raus.“ Diego war still, seine Augen suchten unermüdlich die Finsternis ab, während er Wylla stützte. „Egal, was da draußen ist – wir halten zusammen. Lasst uns weitergehen.“
Die Strömungen waren unberechenbar. Mal waren sie so ruhig, dass das Wasser wie ein Spiegel wirkte, und im nächsten Moment rissen plötzliche Strudel an ihren Beinen und versuchten, sie tiefer in die Höhlen zu ziehen. Einmal verlor Wylla fast den Halt, als der Boden unter ihr nachgab und sie in die dunkle Tiefe zu stürzen drohte. Diego griff blitzschnell zu und zog sie zurück, während Aezra mit ihren Dhampirreflexen dafür sorgte, dass die Gruppe nicht auseinandergerissen wurde.
Immer tiefer drangen sie in das Labyrinth vor, und die Geräusche wurden zunehmend seltsamer. Ein tiefes, fast klagendes Wimmern hallte durch die Tunnel. Es klang wie Stimmen, die Worte formten, die sie nicht verstehen konnten. „Das ist kein Wind“, sagte Aezra und zog eine ihrer Pistolen. Ihre Augen glühten schwach in der Dunkelheit. „Es ist, als würde die Höhle uns rufen.“ „Lass die Höhle rufen“, murmelte Diego. „Wir hören nicht hin.“
Auf ihrem Weg durchquerten sie Überreste vergangener Expeditionen. Alte Seile, zerschmetterte Kisten und verrostete Werkzeuge lagen verstreut. Eine besonders große Höhle enthielt ein halb versunkenes Wrack eines Schiffes, das hier offenbar vor Jahren zerschellt war. Die Planken waren von Muscheln überwuchert, und zwischen den Spalten wuchsen schimmernde Pilze, die ein blasses Licht ausstrahlten.
Die Höhlen wurden weiter und heller, als sie dem Ausgang näher kamen. Doch kurz vor dem letzten Abschnitt hörten sie ein gewaltiges Grollen. Ein Erdrutsch blockierte ihren ursprünglichen Weg, und ein reißender Wasserfall aus einer plötzlich geöffneten Spalte drohte die Höhle zu überfluten. „Das war nicht vorherzusehen“, fluchte Wylla. „Es gibt keinen anderen direkten Weg auf der Karte. Aber… vielleicht können wir uns durch die Strömung ziehen lassen.“ „Das meinst du nicht ernst“, sagte Diego und blickte auf das tosend kalte Wasser. Doch Wylla war sicher: „Die Strömung führt nach draußen. Wenn wir uns festhalten und nicht loslassen, wird sie uns ans Ziel bringen.“ „Das ist Wahnsinn“, murmelte Aezra, doch sie wusste, dass es keine andere Option gab.
Gemeinsam schnallten sie sich mit improvisierten Seilen zusammen und stürzten sich in die tobenden Ströme. Das Wasser riss sie mit einer unbändigen Kraft mit sich, schleuderte sie gegen Felsen und durch enge Passagen, doch die Gruppe hielt sich fest. Die Welt um sie herum wurde zu einem Strudel aus Dunkelheit und Wasser, und für einen Moment schien es, als würden sie in der Flut untergehen.
Mit einem letzten Schwall Wasser wurden sie aus den Höhlen gespült und landeten in einer ruhigen Lagune. Sie keuchten, als sie an die Oberfläche kamen, das kalte Wasser lief von ihren Körpern, und die aufgehende Sonne blendete sie, als sie aus der Dunkelheit auftauchten. Vor ihnen lag das verborgene Riff, und in der Ferne ragte ein altes Fischerboot halb aus dem Sand, halb im Wasser. Trotz ihrer Wunden und Erschöpfung war der Anblick wie eine Verheißung.
„Das wird reichen“, sagte Wylla mit einem schwachen Lächeln. Trotz ihres gebrochenen Beins kletterte sie entschlossen an Bord, unterstützt von Diego. Aezra sicherte die Umgebung, ihre Pistolen fest im Griff. Als sie in die Weite des Ozeans hinaussegelten, war die Erleichterung greifbar. Doch jeder wusste: Die Gefahren, die vor ihnen lagen, waren kaum geringer als jene, die sie hinter sich gelassen hatten. Die Nachricht ihres Kapitäns und die Hoffnung auf Paradise Island waren nun der einzige Antrieb, der sie vorwärts trieb.
„Das ist erst der Anfang“, murmelte Diego, sein Blick fest auf den Horizont gerichtet. „Und wir werden bereit sein.“Teil 2: Auf den offenen Meeren – Begegnung mit den Beastsoul Pirates
Das Fischerboot schaukelte träge auf den Wellen des offenen Meeres, während die Sonne tief am Horizont hing und den Himmel in Flammen setzte. Für einen Moment schien alles ruhig. Der Wind flüsterte durch die Segel, und die salzige Luft war das Einzige, was sie daran erinnerte, dass sie noch lebten. Wylla Wanderlust saß am Bug, ihre verletzte Hand über die zerschlissene Karte gelegt, die sie mit so viel Mühe gezeichnet hatte. Aezra Blackcross hielt mit verschränkten Armen Wache, ihre scharfen Augen durchkämmten die unendliche Weite des Wassers. Diego Montez stand am Heck, eine Hand am Steuer, doch sein Blick war woanders.
Er fühlte es, bevor er es sah – eine Kälte, die tief in seinen Nacken kroch und ihn wie eine eisige Umarmung umfing. Dann erschien es am Horizont, ein Schatten, der sich aus dem Dunst erhob: die Segel der Beastsoul Pirates. Die zerfetzten Stoffbahnen flatterten wie zerschlagene Schwingen, und das Schiff selbst war eine monströse Konstruktionen aus Holz, Knochen und etwas, das in der Dunkelheit lebte. Sein Rumpf wirkte lebendig, als wären es von einem Fluch durchdrungen, der es mit der Besatzung verschmolzen hatte. Es gab keinen Zweifel, wem dieses Schiff gehörte - Carlos Montez.
Diegos Atem wurde schwerer, während er die Umrisse des Schiffes erkannte, dessen gewaltiger Kiel die Wellen zerschlug. Sein Vater war hier. Er hatte ihn gefunden.
„Sie kommen näher“, sagte Aezra, ihre Stimme so scharf wie ihre Pistolen. Sie hatte ihren Platz am Bug eingenommen und den Blick auf die Segel fixiert. „Ich zähle insgesamt drei Schiffe, der Wind auf ihrer Seite.“ Wylla sah von ihrer Karte auf. „Können wir entkommen?“ Diego schüttelte den Kopf. „Nicht mit diesem Boot. Nicht vor ihm.“ Sein Griff um das Steuerruder wurde fester, während er das Schnauben eines Lachens unterdrückte. „Sie wissen, dass ich hier bin. Sie können mich riechen.“
Wylla und Aezra tauschten einen besorgten Blick. Es war keine Zeit für Fragen. Sie wussten genug über Diegos Vergangenheit, um zu begreifen, dass sie nicht gegen diese Schiffe kämpfen konnten – zumindest nicht auf herkömmliche Weise. Doch Diego hatte andere Pläne. Pläne, die er bis jetzt gefürchtet hatte.
Die Macht des Hai-Fluchs
Ein leises Zittern durchlief Diegos Körper, stärker als zuvor. Das Tier in ihm schrie, riss an den Ketten, die er ihm auferlegt hatte. Die Flotte seines Vaters rückte näher, die Silhouetten der verfluchten Schiffe wuchsen gegen den blutroten Horizont. Sein Atem ging schwer, während die Stimmen seiner Kameraden in der Realität ihn kaum erreichten.
„Sie sind zu viele“, murmelte Wylla mit einem Hauch Panik, während sie hastig ihre Karte überprüfte. „Die Strömungen sind gegen uns, wir können nicht entkommen.“ „Dann kämpfen wir“, sagte Aezra kalt und überprüfte die Munition in ihren Pistolen. Diego blickte sie an, und für einen Moment spiegelte sich die Furcht seiner eigenen Unsicherheit in ihren Augen. Er wusste, dass er sie im Stich lassen würde, wenn er sich jetzt nicht entschied. Langsam legte er das Steuerruder nieder und trat zurück.
„Ich werde sie aufhalten“, sagte er. Seine Stimme war ruhig, doch seine Hände zitterten. „Ihr müsst bereit sein, so schnell wie möglich zu fliehen.“ Aezra runzelte die Stirn. „Was vorhast du, Diego?“ Er löste den Gürtel seines Hemdes, das er zu Boden fallen ließ. „Das, was nötig ist.“ Dann sprang er über die Reling, und das Wasser verschlang ihn.
Das kalte Meer umhüllte Diego wie ein Mantel, und die vertraute Kälte weckte die uralte Macht in ihm. Seine Muskeln spannten sich, seine Haut wurde ledrig und grau, seine Hände verwandelten sich in Klauen, die durch das Wasser schnitten wie Dolche. Hinter ihm wuchs sein mächtiger Schwanz, und sein Kiefer verlängerte sich zu einer tödlichen Waffe. Das Tier in ihm war erwacht – und es hatte Hunger.
Die verfluchten Schiffe der Beastsoul Pirates schwammen über ihm wie Schatten. Ihre Ruderblätter pflügten durch das Wasser, und die Bewegungen der Kreaturen an Bord verrieten eine unheimliche Wachsamkeit. Diego wusste, dass sie ihn spürten. Sie jagten ihn nicht nur mit ihren Augen, sondern mit Instinkten, die kein normaler Mensch nachvollziehen konnte. Er schoss auf das nächste Schiff zu und biss mit brutaler Kraft in eines der Ruderblätter. Das Holz splitterte unter seinem Gebiss, und das Schiff begann sich seitwärts zu neigen. Chaos brach an Deck aus, als die verfluchten Piraten brüllten und ins Wasser sprangen, um den unsichtbaren Angreifer zu finden.
Er zog einen der Piraten unter Wasser, zerfetzte ihre Kehle und ließ die Strömung den Rest erledigen. Sein Tierinstinkt befahl ihm, weiterzumachen, mehr Blut zu vergießen. Doch seine menschliche Seite schrie, dass er nicht hier war, um zu töten – sondern um Zeit zu gewinnen.
Eine unausweichliche Niederlage
Trotz seines wilden Angriffs spürte Diego bald die Übermacht der Beastsoul Flotte. Ein zweites Schiff hatte die Richtung geändert, seine Ruder schneller ins Wasser getaucht, und ein Netz aus schwerem Tau wurde ausgeworfen. Diego tauchte ab, doch die Tiefe des Meeres war nicht sicher genug. Ein harpunenähnliches Projektil zischte durch das Wasser und riss ihn an der Seite auf. Er zuckte zusammen, Blut wirbelte um ihn herum wie ein dunkler Schleier. Das Tier in ihm brüllte, und mit einem Schlag seines Schwanzes entkam er dem Netz, aber er war langsamer, verletzter.
Dann hörte er es – ein tiefes, kehliges Brüllen, das das Wasser selbst zu erzittern schien. „Komm herauf, Diego!“ Carlos Montez' Stimme war ein Sturm aus Wut und Hohn. „Du kannst nicht ewig fliehen!“ Diego wusste, dass er verloren hatte. Er war nicht stark genug. Das Tier in ihm war stark, aber nicht stark genug, um seinen Vater zu besiegen. Mit einem letzten Schlag seines Schwanzes zog er sich zurück, sein Körper erschöpft, seine Wunden brennend. Das kleine Fischerboot lag vor ihm, und er schaffte es gerade noch, sich an der Reling festzuhalten, bevor seine Kräfte ihn verließen.
Die Flucht und die Erkenntnis
Aezra und Wylla zogen ihn keuchend an Bord. „Was ist passiert?“ fragte Aezra, ihre Stimme angespannt, während sie die Harpunen in der Ferne bemerkte, die wie drohende Speere auf sie gerichtet waren. „Ich... konnte sie nicht aufhalten“, murmelte Diego, seine Stimme gebrochen. Sein Blick wanderte zu Wylla. „Du musst das Boot steuern.“
Wylla zögerte nicht. Trotz ihres verletzten Beins stemmte sie sich ans Steuer, und Aezra warf alles über Bord, was das Boot leichter machen konnte. Mit einem Ruck trieb das Boot durch die Strömung davon, während hinter ihnen die Silhouetten der Beastsoul Schiffe immer kleiner wurden. Diego saß still, sein Körper schwach, sein Geist zerrissen. Die Worte seines Vaters hallten in ihm wider. Er wusste, dass er nie gewinnen konnte, wenn er die Macht, die in ihm schlummerte, weiterhin fürchtete.
Er richtete sich langsam auf, sein Blick hart und entschlossen. „Ich muss es annehmen“, sagte er leise. Aezra sah ihn an, ihre Augen misstrauisch. „Was?“ „Das Biest“, antwortete Diego, während er sich die Seite hielt, wo ihn die Harpune getroffen hatte. „Ich kann ihn nicht besiegen, wenn ich mich selbst verleugne. Ich muss stärker werden – egal, was es kostet.“ Niemand widersprach. Sie segelten weiter, mit dem Wissen, dass die Schatten ihrer Vergangenheit sie immer wieder einholen würden. Doch beim nächsten Mal würde Diego bereit sein, ihnen entgegenzutreten – wenn der Moment gekommen war.
Teil 3: Die Seeschlange von Galagar
Die Sonne stand tief über dem Galagar-Riff, das sich wie ein zerklüftetes Labyrinth aus Felsen und Wasserpassagen in die Ferne erstreckte. Das Licht brach sich auf den unruhigen Wellen, die eine trügerische Ruhe suggerierten. Die See war still – zu still. Wylla Wanderlust prüfte die Karten mit angespannter Miene, während Diego Montez die Strömungen beobachtete. Aezra Blackcross stand am Bug des Bootes, ihre scharfen Sinne suchten die Umgebung nach Bedrohungen ab.
„Das hier gefällt mir nicht“, murmelte Diego, sein Blick wanderte über die schwarzen Felsen, die wie die Zähne eines hungrigen Ungeheuers aus dem Wasser ragten. „Wir haben keine Wahl“, antwortete Wylla und zog mit schmerzverzerrtem Gesicht die Steuerseile an. „Wenn wir das Riff umfahren, verlieren wir Tage. Tage, die wir nicht haben.“ „Das hier ist Galagar-Riff“, sagte Aezra leise, ohne die Augen von der unruhigen See zu nehmen. „Ich habe darüber gelesen. Hier lauert die legendäre Seebestie von Galagar.“ Wylla nickte knapp. „Legenden hin oder her, wir müssen durch.“
Der Angriff der Seeschlange
Nach einer Weile des ruhigen Segelns, wurde die Stille wurde durch ein tiefes Grollen gebrochen, das vom Meeresboden heraufzusteigen schien. Die Strömung änderte sich plötzlich, das Wasser wurde unruhig, und das Boot begann zu schwanken. „Haltet euch fest!“ rief Diego, als eine gewaltige Welle gegen das kleine Boot schlug.
Das Wasser vor ihnen schäumte auf, und mit einem donnernden Krachen brach eine gigantische Kreatur aus den Tiefen hervor. Die Seeschlange von Galagar war ein Alptraum in Schuppen und Zähnen. Ihr schlangenartiger Körper war mit narbenübersäten Schuppen bedeckt, die im Licht blitzten wie Klingen. Ihre Augen glühten kalt und erbarmungslos, und ihr Maul, gespickt mit messerscharfen Zähnen, öffnete sich in einem markerschütternden Brüllen.
„Bei Calia's Arsch...“ murmelte Diego, seine Stimme ein Flüstern. „Das ist keine Legende“, sagte Aezra, während sie ihre Pistolen zog. „Das ist ein Todesurteil.“
Die Seeschlange schlug zu. Ihr Schwanz riss eine gewaltige Welle auf, die das Boot beinahe umkippte. Aezra feuerte einen Schuss ab, der die Kreatur am Hals traf, doch die Kugel prallte wirkungslos von den Schuppen ab. Diego brüllte vor Anstrengung, als er versuchte, das Boot zu stabilisieren. „Wir können sie nicht besiegen! Wir müssen hier raus!“ Wylla schrie durch das Chaos: „Da vorne! Ein enger Felsengang! Wenn wir sie hineinlocken können, haben wir vielleicht eine Chance!“
Diego schwang das Boot herum, während die Seeschlange mit peitschendem Schwanz auf sie zustürmte. „Das Ding ist zu schnell!“ rief er, als eine weitere Welle über das Deck spülte und das Boot erschütterte. „Dann braucht es ein Ziel“, sagte Aezra, ihre Stimme ruhig und entschlossen. Sie steckte die Pistolen weg. „Ich werde sie ablenken.“ „Was? Nein!“ rief Diego, aber Aezra hatte sich bereits zum Sprung bereitgemacht.
Ohne eine weitere Warnung sprang sie ins Wasser. Ihre Bewegungen waren schnell und präzise, als sie auf die Seeschlange zuschwamm. Sie schrie, feuerte Schüsse ins Wasser und erzeugte schattenhafte Illusionen, um die Aufmerksamkeit der Kreatur auf sich zu ziehen. „Verdammt, Aezra!“ brüllte Diego, während er das Boot in Bewegung hielt. „Komm zurück!“ Doch Aezra hatte ihre Wahl getroffen. Sie führte die Seeschlange tiefer in den Felsengang, wo die Wände enger wurden und die Bewegungen der Kreatur einschränkten. Als die Schlange zuschlug, sprang Aezra aus dem Wasser auf einen Felsen, doch sie war zu langsam. Der gewaltige Schwanz der Kreatur traf sie mit brutaler Wucht, und sie wurde von den Strömungen mitgerissen.
Offenbarung
Aezra Blackcross schwebte in der endlosen Dunkelheit, eingehüllt in die kalte Stille der Tiefe. Sie fühlte, wie ihr Körper schwer wurde, ihre Glieder nachgaben und das Leben aus ihr wich. Doch inmitten dieser Leere begann ein sanftes, silbriges Licht zu leuchten. Es wuchs und wurde klarer, formte sich zu einer Gestalt von unirdischer Schönheit und erhabener Präsenz. Der Anblick war sowohl tröstlich als auch ehrfurchtgebietend.
Vor ihr stand eine Frau mit schimmernden, fast durchscheinenden Flügeln, die sich weit über sie hinaus erstreckten. Ihr Gesicht war makellos, doch in ihren kalten, strahlenden Augen lag eine Weisheit, die von unzähligen Zeitaltern erzählte. Eine seltsame Kälte ging von ihr aus, die Aezra trotz der eisigen Umarmung des Wassers spüren konnte. In diesem Moment wusste sie, dass sie in der Gegenwart von etwas Höherem war – etwas, das weit über ihre eigene Existenz hinausging.
Das Wesen, das vor ihr schwebte, enthüllte sich Aezra nicht als Fremde, sondern als jemand, der tief mit ihr verbunden war. Es war Atracia, der Erzengel des Todes – und ihre Mutter. Die Wahrheit traf Aezra mit der Wucht einer Flutwelle. Sie war nicht nur ein Dhampir, eine Kreatur, die zwischen Leben und Tod wandelte, sondern auch ein Aasimar, ein Kind, in dem das Blut der Himmlischen floss. Diese Erkenntnis war eine schockierende Offenbarung, die die Fundamente ihres Selbstverständnisses erschütterte.
Atracia erklärte, dass Aezra, nun da sie die Wahrheit kannte, an einem entscheidenden Wendepunkt ihres Lebens stand. Ihr Sterben war unvermeidlich gewesen, doch dies war nicht das Ende. Es war eine Schwelle, eine Prüfung. In ihr schlummerte ein größeres Schicksal, das sie entweder annehmen oder für immer verlieren würde. Doch diese Wiedergeburt würde nicht ohne Opfer geschehen. Ein Teil von Aezra musste sterben, um den anderen zu stärken – eine unausweichliche Wahrheit, die Atracia mit ihrer ruhigen, doch erdrückenden Präsenz in Aezras Herz pflanzte.
Die Verbindung zu ihrer Mutter offenbarte mehr als nur ihre Herkunft. Es war eine Brücke zwischen der Welt des Lebens und der des Todes, eine Einladung, die Macht beider Sphären zu akzeptieren. Aezra wurde bewusst, dass sie nicht einfach wählen konnte, zu leben oder zu sterben – sie musste beides annehmen. Ihre Entscheidung, zurückzukehren, würde sie verändern, ein neues Gleichgewicht in ihr schaffen, das das Leben und Unleben in ihr vereinen würde.
Das Licht der Offenbarung begann, sie zu durchdringen, und Aezra spürte, wie ihre Seele zerrissen und neu geformt wurde. Sie würde ins Leben zurückkehren, doch sie würde niemals dieselbe sein. Ein Teil von ihr würde auf ewig in der Welt der Toten verweilen, während der andere mit neuer Kraft und Entschlossenheit in die Welt der Lebenden zurückkehren würde. Die Erscheinung von Atracia verblasste langsam, und mit ihr verschwand das Licht. Aezra blieb allein in der Dunkelheit zurück, doch sie fühlte, wie ein neues Feuer in ihr brannte – ein Feuer, das sie nicht verstand, aber als unvermeidlichen Teil ihres Schicksals akzeptierte.
Wiedergeburt
Das Licht verschwand, und Aezra wurde zurückgerissen in die Welt der Lebenden. Sie öffnete die Augen und spürte sofort, dass etwas anders war. Ihre Fingerkuppen waren skelettiert, ihre Haare hatten eine weiße Strähne erhalten, und sie konnte eine unheimliche Energie in ihrem Körper spüren. Aezra erhob sich aus dem Wasser, knöcherne Schattenflügel manifestierten sich hinter ihr. Die Seeschlange von Galagar, die noch immer in den Felsengang eingeklemmt war, hielt inne, als Aezra eine düstere Maske manifestierte. Ihre Augen glühten in einem tiefen, unnatürlichen Licht.
Mit einem Schrei der Macht lenkte sie die Angst selbst gegen die Kreatur. Die Schlange zögerte, ihre Angriffe wurden langsamer, als ob sie die Präsenz des Todes spüren konnte. „Jetzt!“ rief Aezra, ihre Stimme eine Mischung aus Leben und Tod. „Bringt sie zu Fall!“ Diego nutzte die Gelegenheit, stieß mit dem Boot zurück, und Wylla zündete eine improvisierte Sprengladung, die die Wände des Felsengangs einstürzen ließ. Die Schlange verschwand unter den Trümmern, und das Wasser wurde still.
Die Gruppe sammelte sich auf dem Boot. Aezra kletterte an Bord, nass und erschöpft, doch ihre Präsenz war anders. Ihre Augen waren schärfer, ihre Bewegungen von einer unheimlichen Grazie geprägt. „Du bist zurück“, sagte Diego, seine Stimme voller Erleichterung. „Nicht ganz“, murmelte Aezra, während sie ihre skelettierten Finger betrachtete. „Ein Teil von mir ist gestorben. Aber was zurückgekommen ist, ist stärker.“
Die Gruppe segelte weiter, doch eine neue Spannung lag in der Luft. Aezra war mächtiger geworden, doch sie war auch anders. Und alle wussten, dass dies erst der Anfang ihrer Veränderungen war.
Teil 4: Die Ankunft auf Paradise Island
Nach wochenlanger Flucht und unzähligen Prüfungen tauchten endlich die glitzernden Türme und der geschäftige Hafen von Kanohana am Horizont auf. Paradise Island, der legendenumwobene Zufluchtsort für Reisende und Abenteurer gleichermaßen, lag vor ihnen. Die Stadt schien ein Labyrinth aus beeindruckenden Sandsteinbauten und farbenfrohen Markisen zu sein, unter denen Händler ihre exotischen Waren anpriesen. Doch hinter der schillernden Fassade lag eine Welt voller Schatten.
Die Crew – Diego Montez, Wylla Wanderlust und Aezra Blackcross – fühlte eine Welle der Erleichterung, als sie das kleine Boot sicher in eine der zahlreichen Anlegestellen manövrierten. Ihr Körper war von der langen Reise gezeichnet, ihre Vorräte erschöpft, doch der Gedanke, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren, gab ihnen neue Kraft.
Der Hafen von Kanohana – Ein Netz der Kontrolle
Kanohana war mehr als nur ein pulsierender Hafen. Es war ein Ort, an dem La Consorcio, das mächtige kriminelle Syndikat, seine Fäden spann. Ihre Präsenz war subtil, aber überall spürbar. Wachleute, deren Uniformen zu ordentlich waren, Händler, die zu oft über ihre Schulter blickten, und schattenhafte Gestalten, die durch die Gassen huschten – die Kontrolle des Syndikats war allgegenwärtig.
Aezra, die stets die Umgebung im Auge behielt, bemerkte die nervöse Stimmung der Einheimischen. „Die Leute hier fürchten sich vor etwas“, murmelte sie, während sie einen Mann beobachtete, der hastig seine Waren einpackte, sobald eine Gruppe Bewaffneter vorbeiging. Diego blieb stehen, sein Blick auf eine Auseinandersetzung zwischen einem Händler und einem dieser bewaffneten Männer gerichtet. Es war keine übliche Schlägerei – der Händler schien Tribut zu zahlen, ein Tribut, der niemals genug zu sein schien.
Der Wunsch des Kapitäns – Eine unerwartete Wende
Die Crew machte sich auf den Weg zu einer der Tavernen, um sich auszuruhen und ihre nächsten Schritte zu planen. Diego sprach leise von ihrem Ziel: sich mit Davian Flynt und Bendris Mondrak zu vereinen und herauszufinden, was sie auf dieser Insel erwartet. Doch bevor sie überhaupt einen Schluck des bitteren Hafenbiers nehmen konnten, veränderte sich alles.
Ein plötzlicher, drückender Windstoß erfüllte den Raum, und die Luft begann zu knistern, als ob sie von unsichtbaren Blitzen durchzogen wäre. Ein Leuchten umgab die Crew, und die Welt um sie herum schien sich aufzulösen. Sie fühlten ein Ziehen, als würde eine unsichtbare Hand sie packen und durch Raum und Zeit schleudern. Die Stimmen der anderen Gäste der Taverne verblassten, und ein schallendes Lachen, tief und melodisch, erfüllte die Leere.
Dann standen sie plötzlich auf festem Boden – doch es war nicht mehr Kanohana. Um sie herum erhoben sich die staubigen Gebäude von Goldwater, und die salzige Meeresbrise, die sie in Kanohana begleitet hatte, war einer trockenen, beklemmenden Hitze gewichen. Vor Ihnen sahen sie eine Hütte mit einer kleinen Anlegestelle, die gerade von einem Trupp Schlägern auseinander genommen und in Brand gesteckt wurde. Sich noch unsicher, was es mit all dem auf sich hatte, stürzten die Kameraden sich jedoch ohne zu zögern ins Kampfgetümmel, wild entschlossen antworten zu finden...
Trivia
- Bei diesem Off-Season Special handelt es sich um eine Erzählung der Ereignisse, welche die Reise der NPC Crew-Mitglieder aus Age of Change - Tales of the Sea beschreibt, nachdem diese von den Spielercharakteren - Davian Flynt und Bendris Mondrak - getrennt wurden.
- Die beschriebenen Ereignisse spielen sich zwischen TotS - Kapitel 20: Kriegsdämmerung und TotS - Kapitel 29: Dämmerstunde der Solcrest Crew, parallel zur eigentlichen Handlung der Kampagne, ab.
- Durch den Wunsch den Davian Flynt am Ende von TotS - Kapitel 28: Befreiung aus dem Wolkenpalast an Ishariel al-Qamar äußert, welcher die Crew nach Goldwater bringt, sind all die Strapazen, welche die Crew-Mitglieder auf sich genommen haben, um nach Kanohana zu gelangen, rückblickend überflüssig gewesen. Dennoch sind die Charaktere an diesen Erfahrungen gewachsen.
- Da zwischen dem letzten Treffen der Crew und der Spielercharaktere ein Wechsel des Regelsystems von Dungeons & Dragons 5th Edition 2014 zu Dungeons & Dragons 5th Edition 2024 vollzogen wurde, konnte durch den DM diese Reise genutzt werden, um die mechanischen Änderungen der NPC Charaktere zu erklären.
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