Tue 21st Oct 2025 10:32

Der namenlose Bruder

by Varn

Als die Zeit der Geburt kam, brachte Varns Mutter ein Kind zur Welt – und starb im selben Atemzug. In Föndir glaubt man, dass jedes Neugeborene ein Namensplättchen braucht, um von den Ahnen erkannt und beschützt zu werden. Ohne dieses Plättchen bleibt die Seele allein in der Kälte.
 
Doch Skaldr verweigerte dem Kind den Namen. „Er hat sie mir genommen“, sagte er, „er soll namenlos sterben.“
Varn verstand es nicht. In seinen Augen war der Säugling unschuldig – schwach, hilflos und kalt. Er suchte Rat bei Onkel Arleif, der ihm heimlich ein winziges Namensplättchen schnitzte, kaum größer als ein Daumennagel.
 
Varn suchte sich selbst einen Namen für seinen Bruder aus – Haelmir.
 
Gemeinsam mit Liska versteckte er das Plättchen am Handgelenk des Kindes. Sie hielten den Namen geheim, flüsterten ihn nur, wenn der Wind laut genug war, um sie zu schützen.
 
Neunundsechzig Wochen vergingen – die Zeit der Prüfung. Als sie überstanden war, erschien Arleif eines Morgens in Skaldrs Haus. „Er hat überlebt“, sagte er, „und er hat einen Namen.“
 
Skaldr tobte, doch am Ende gab er nach. Der namenlose Sohn wurde Haelmir.
 
Und Varn lernte in diesem Moment, was Gerechtigkeit wirklich bedeutet:
Nicht die Strafe der Götter, sondern der Mut, sich ihnen zu widersetzen.