Bericht der Magierin Elynn Sturmhand – Die Suche nach Leben im Konstrukt

Go to the english version: Report of the Mage Elynn Stormhand – The Search for Life in Metal
Es gibt eine Stille, die mich immer begleitet – nicht die kalte, leblose Ruhe des Schnees, sondern eine tiefere, unaufhörliche Abwesenheit. Sie liegt in ihren Bewegungen, in der Art, wie sie gehorchen, ohne zu verstehen. Die drei Golems, die einst als bloße Werkzeuge erschaffen wurden, sind meine stetigen Begleiter. Ich bin mit ihnen gewachsen, habe ihre Fehler korrigiert, ihre Bewegungen verfeinert, ihre Runen angepasst. Aber sie sind nicht gewachsen mit mir.
Ich erinnere mich an gestern, an den Moment, der mich innehalten ließ. Es war einer dieser seltenen Augenblicke, in denen ich mir selbst eingestehen musste, dass ich mehr erwarte, als sie mir geben können. Ich stand vor Varun, dem ersten Golem, und gab ihm eine Aufgabe. „Lockere die Erde vorsichtig. Befreie die Wurzeln von der Erde, damit wir sie umpflanzen können.“ Er verharrte nur kurz, dann bewegte sich seine metallene Hand, seine Finger streckten sich aus – präzise, exakt, aber ohne Verstehen. „Befehl unklar. Erde lockern: möglich. Wurzeln erhalten: nicht möglich.“ Seine Stimme war mechanisch, neutral, ohne Unsicherheit. Kein Nachdenken, keine Zweifel, kein Zögern.
Ich nickte ihm zu. Ich wusste, dass das so sein musste. Aber dennoch…
Als Kind habe ich ihnen Namen gegeben, als wäre das genug, um aus ihnen mehr zu machen. Doch Namen formen kein Bewusstsein, keine Erkenntnis. Sie kennen ihre Kraft, ihre Aufgaben – aber sie kennen nicht sich selbst.
Und deshalb experimentiere ich weiter. Ich graviere neue Runen, ich ändere ihre Muster, ich wandle die Magie, bis sie nicht nur befehlen lässt, sondern vielleicht eines Tages nachdenken kann. Nicht nur reagieren, sondern verstehen.
Die bisherige Magie ließ mich viele Rückschläge erleben. Mehr als einmal lag eine Rüstung vor mir, bereit, belebt zu werden – und doch blieb sie stumm. Das Erwecken war das größte Hindernis. Einige Male war die Runenstruktur fehlerhaft, die Magie flackerte, doch nichts geschah. Andere Male bewegte sich die Konstruktion – nur für einen Augenblick, bevor sie wieder in völlige Reglosigkeit verfiel. Jeder Fehlschlag ist eine Lehre. Jede Rune, die nicht funktioniert, gibt mir Hinweise darauf, was fehlt. Ich verändere die Linien, ich verstärke die Übergänge zwischen den Gravuren, ich modifiziere das ursprüngliche Muster des alten Animate, bis ich eine neue Struktur erschaffe – eine Rune, die nicht nur belebt, sondern auch wahrnimmt.
Ich habe diese Frage unzählige Male gestellt. Ich habe sie in Runen gebannt, in Magie verwoben, in Gedanken getragen. Sie war ein Prüfstein, an dem sich meine Arbeit messen ließ – und immer wieder enttäuschte sie mich. Doch heute habe ich sie erneut ausgesprochen. Nicht aus Hoffnung. Nicht aus Erwartung. Einfach, weil es die natürliche Abfolge war.
Ich stand vor Veyos, meinem neuesten Golem. Die Gravuren auf seiner Oberfläche waren frisch, ihre Magie noch jung und ungestüm. Die Rune, die ich zuletzt eingearbeitet hatte, war anders als die bisherigen – eine, die nicht nur belebte, sondern wahrnahm. Ich sprach die Worte. „Lockere die Erde vorsichtig. Befreie die Wurzeln von der Erde, damit wir sie umpflanzen können.“
Ein Moment der Stille. Dann bewegte sich Veyos. Nicht sofort. Nicht mechanisch. Er hob eine Hand, verharrte, seine Finger öffneten sich langsam. Ich sah, wie seine Bewegungen anders waren als bei den anderen. Es war kein starrer Griff, keine rohe Kraft – es war Bedacht. Seine Hände fanden die Erde, berührten sie vorsichtig, spürten nach. Ich beobachtete ihn mit angehaltenem Atem. Er ließ die Erde zwischen seinen Fingern rieseln, prüfte ihre Beschaffenheit, bevor er die Wurzeln ergriff – nicht zu fest, nicht zu nachlässig.
Dann sprach er. „Lockern: möglich. Wurzeln erhalten: möglich.“
Keine stockende Mechanik, kein bloßes Befolgen eines Befehls. Eine Anpassung. Eine Erkenntnis.
Ich nickte, blieb jedoch reglos. Etwas in mir zog sich zusammen. Keine Freude, kein Triumph – nur ein tiefes Innehalten. Ich wusste nicht, ob ich lächeln sollte oder weinen. Nach 25 Jahren des Scheiterns, nach zahllosen gravierten Runen und verworfenen Konzepten, nach Fehlschlägen, die mich beinahe meine eigene Überzeugung kosten wollten – war dies der erste Schritt. Veyos hatte nicht nur reagiert. Er hatte verstanden.
Es ist noch keine Perfektion. Es ist kein vollendetes Bewusstsein. Doch es ist etwas Neues. Etwas, das weitergeführt werden muss. Ich schreibe diesen Bericht als Erinnerung. An den Tag, an dem ein Golem mehr wurde als ein Werkzeug.
Für die Chroniken der Magier, Elynn Sturmhand
Created by Selibaque 2025


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