Die kleine Schwester

Nyrian erstreckt sich über eine gewaltige Fläche von rund 650 Kilometern Länge und 400 Kilometern Breite. Doch nur ein kleiner Teil davon ist bewohnt: die Ebene von Nyrian, ein etwa 60 mal 120 Kilometer großes Kerngebiet, das von den beiden mächtigen Eiswällen Yodunskuld und Ismurna eingeschlossen wird. Jenseits dieser Grenzen breitet sich eine weite, unbewohnte Eislandschaft aus – ein Reich aus Kälte und Sturm, etwa zehnmal so groß wie die Ebene selbst. Umgeben wird es von der arktischen Inselzone, deren zerklüftete Gewässer in besonders kalten Zeiten teilweise zufrieren. Zwar bildet sich dabei keine geschlossene Eisfläche, doch entstehen vereinzelt gefrorene Abschnitte. Wo das Meer durch die Gezeiten der beiden Monde unablässig in Bewegung bleibt, gibt es solche Eisfelder jedoch nicht – und das betrifft den größten Teil der Zone.
  Weit draußen, mitten in dieser wilden Inselzone, liegt ein gewaltiger Eisberg, den die Frostmenschen die kleine Schwester nennen. Er ragt wie ein weißer Koloss aus dem Meer, ein einsamer Wächter fern der Hauptebene, und steht seit Jahrtausenden unverrückt an seiner Stelle. Mit einer Länge von über 140 Kilometern und rund 80 Kilometern an seiner breitesten Stelle ist er selbst für arktische Verhältnisse außergewöhnlich. Vermutlich hat er sich vor vielen Jahrtausenden von Nyrian gelöst und ist abgetrieben, ehe er auf einer Untiefe oder einem unterseeischen Berg auf Grund lief. Seine Eisklippen ragen 20 Meter über die Wasseroberfläche hinaus, was darauf schließen lässt, dass er unter Wasser mehr als 150 Meter in die Tiefe reicht.
  Seit der Ankunft der Frostmenschen nach dem großen Exodus vor über zweitausend Jahren hat sich an ihm kaum etwas verändert. Die Kälte der arktischen Zone verhindert ein nennenswertes Schmelzen, sodass der Koloss weitgehend erhalten bleibt. Je nach Jahreszeit wächst oder schrumpft er minimal, doch diese Veränderungen sind kaum wahrnehmbar.
  Aus der Ferne wirkt seine Oberfläche flach, doch in Wirklichkeit ist sie leicht gewellt und von tiefen Rissen durchzogen. An manchen Stellen schimmert das alte Eis bläulich, als läge darin das gefrorene Herz eines längst vergessenen Zeitalters. Hier, in dieser abgeschiedenen und schwer zugänglichen Umgebung, befindet sich ein weiterer Brutplatz der Snovingars – ein deutliches Zeichen dafür, dass die kleine Schwester einst zur Nyrian-Ebene gehörte.