Das verschlingende Meer

Go to the english version: The Devouring Sea
Kapitäne, die sich in die arktische Inselzone wagten, wussten, worauf sie sich einließen. Wer dort hinausfährt, nimmt das Risiko mit an Bord und hofft, dass das Meer gnädig bleibt. Rund um Nyrian lauern viele Gefahren – und eine davon ist das verschlingende Meer. Es ist kein Ort, den man auf der Karte einzeichnen kann. Kein festes Gebiet. Es scheint zu wandern, wie ein Wesen, das sich nie zeigt, aber Spuren hinterlässt, wenn man gelernt hat, hinzusehen.
  Das erste Anzeichen ist der Geruch. Faulige Muscheln, modrige Algen – ein Gestank, der plötzlich vom Wind herangetragen wird. Anfangs glaubt man, sich zu täuschen, oder man sucht auf dem Schiff nach der Quelle. Gammeliges Essen ist unschön, kommt aber vor. Doch wenn sich nichts finden lässt, sollte man aufmerksam werden. Dann verändert sich die See, die Wasseroberfläche wirkt unnatürlich ruhig. Keine Schollen treiben vorbei, kein Treibgut, nichts, was sich sonst in diesen Breiten zeigt. Das Meer liegt da, wie gemalt – als hätte man die eisfreie Zone, das offene Meer schon erreicht.
Wer gute Ohren hat, kann es hören. Ein tiefes, unregelmäßiges Rumpeln steigt aus der Tiefe auf, kaum wahrnehmbar, aber spürbar im Körper. Manche berichten von plötzlicher Übelkeit, andere von einem Gefühl, als würde etwas unter ihnen erwachen. An der Oberfläche ist ein leises Gurgeln zu hören, das nicht zum Rest der Umgebung passt – als würde das Meer selbst atmen.
  Wenn ein Schiff ein solches Gebiet durchquert, kann es passieren, dass es plötzlich in Schieflage gerät. Es sackt nach vorne oder hinten ab, manchmal spürt man einen Ruck, als hätte man etwas getroffen, das nicht da war. Dann, so sagen die erfahrenen Seefahrer, ist man über ein Maul gefahren – eines, das sich gerade erst öffnet. Es gibt auch zwei Berichte, die unter Seeleuten als glaubwürdig gelten. Beide betreffen kleinere Boote, die ohne Vorwarnung in die Tiefe gezogen wurden. Die Besatzung hatte keine Chance, und alles spielte sich innerhalb weniger Augenblicke ab. Kein Strudel, kein Aufbäumen – nur ein kontinuierliches Sinken, als würde etwas unerbittlich das Schiff nach unten ziehen.
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Cover image: by Microsoft Copilot.

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