Véldirfolk
In den uralten Wäldern Frideyjas, dort, wo Licht und Schatten ineinander übergehen, leben die Véldirfolk – ein stilles Volk, das sich selbst als Teil des Lebensnetzes versteht, nicht als seine Krone.
Sie sind Nachfahren der Samfólk, doch zogen sie sich tiefer in die Wälder zurück, um das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Verfall zu bewahren.
Ihr Leben ist eine beständige Bewegung, nicht der Suche, sondern der Antwort – jede Tat, jedes Wort, selbst jedes Schweigen ist Teil des Flusses, den sie Veva nennen.
In ihren Gemeinschaften herrscht weder Eile noch Hierarchie; Entscheidungen entstehen, wenn sich die Stimmen eines Dorfes auf dieselbe Frequenz einschwingen.
Ein Streit endet nicht durch Urteil, sondern durch Stille – wenn niemand mehr spricht, weiß man, dass die Wahrheit gefunden wurde.
So halten die Véldirfolk die Welt im Atem der Geduld.
Die Véldirfolk glauben, dass alles Lebendige denselben Rhythmus atmet, und dass Disharmonie die einzige Form von Übel ist.
Ihre Ethik entspringt keinem Gesetz, sondern der Wahrnehmung von Klang, Bewegung und Gefühl.
Ein Mensch, der seinen inneren Takt verliert – sei es durch Gier, Angst oder Wut –, wird krank an Seele und Körper zugleich.
Heilung bedeutet, den eigenen Klang wiederzufinden, und so dienen ihre Heiler weniger als Ärzte, sondern als Stimmer der Welt.
Sie nennen sich selbst „Weg-Hörende“, weil sie glauben, dass jedes Wesen eine Richtung besitzt, die man nicht sehen, sondern nur hören kann.
Daher gilt Schweigen als höchste Form des Respekts – nicht aus Zurückhaltung, sondern aus Vertrauen in das, was jenseits der Worte liegt.
Ihre Sprache, Velirr, besteht aus Tonhöhen und Atempausen; sie wird mehr gefühlt als gehört.
Sätze fließen ohne klare Grenzen, als wolle niemand die Welt in einzelne Bedeutungen zerschneiden.
Ein gesprochenes Wort gilt als lebendig – wer es ausspricht, trägt Verantwortung für seine Nachklänge.
Darum lehren die Véldirfolk ihre Kinder zuerst das Hören, erst viel später das Reden.
Musik und Sprache sind eins, Gebet und Gespräch kaum zu unterscheiden.
Fremde sagen oft, die Véldirfolk sängen, wenn sie sprechen – sie selbst antworten darauf nur mit einem Lächeln.
Ihr Verhältnis zu Magie ist ebenso fließend.
Sie folgen zwei Strömungen der Veva: Urveva, der Kraft des Lebens und der Verwurzelung, und Vidveva, der Bewegung und Wandlung.
Diese beiden Kräfte gelten ihnen als Spiegel – still und wild zugleich, Mutter und Kind im selben Atemzug.
Alchemie betrachten sie als die „Hand der Balance“, eine Kunst, die Lebendiges berührt, ohne es zu binden.
Runenmagie lehnen sie ab, da sie den Fluss des Lebens in feste Formen zwingt.
Und die Vargskuld – die Macht des Blutes – fürchten sie wie ein Feuer, das Licht bringt, aber alles verbrennt, was ihm zu nahe kommt.
Gesellschaftlich leben die Véldirfolk in losen Clans, die sie „Kreise“ nennen.
Jeder Kreis besteht aus jenen, deren Klänge sich ergänzen – Freundschaft, Familie und Liebe werden nicht unterschieden, sondern verwoben.
Rollen und Geschlechter sind wandelbar; was zählt, ist der Rhythmus, in dem jemand lebt, nicht der Körper, in dem er geboren wurde.
Kinder werden von der ganzen Gemeinschaft großgezogen und gelten erst dann als „eigenständig“, wenn sie ihren ersten „Weggesang“ komponieren – eine Melodie, die sie begleitet, wohin sie gehen.
Eifersucht, Besitz oder Ehrgeiz gelten als Symptome von Disharmonie und werden nicht bestraft, sondern heilerisch behandelt.
So entsteht eine Gesellschaft, die sanft wirkt, aber enorme innere Disziplin verlangt – denn wer nicht mit sich im Einklang ist, kann nicht Teil des Ganzen sein.
Der Tod ist für die Véldirfolk kein Ende, sondern eine Rückkehr ins Atemfeld der Welt.
Wenn jemand stirbt, wird sein Name nicht gesprochen, sondern gesummt, bis die Erinnerung in Klang übergeht.
Aus der Asche eines Körpers wächst ein Baum, der in der Sprache des Windes den Namen des Verstorbenen flüstert.
Trauer ist ein leises, warmes Ritual – kein Schmerz, sondern eine Wiedererkennung.
Denn sie glauben, dass niemand wirklich verschwindet, solange sein Rhythmus im Fluss der Veva mitschwingt.
So bleiben die Véldirfolk unsterblich – nicht durch Macht oder Erinnerung, sondern durch Klang.
Und wer einmal lange genug in ihren Wäldern verweilt, hört es selbst:
ein gleichmäßiges, atmendes Summen, kaum mehr als ein Windhauch.
Die Véldirfolk nennen es das Herz des Waldes –
doch in Wahrheit ist es vielleicht nur das Echo dessen, was sie selbst sind.
