Die bleiche Stadt

Die Bleiche Stadt – Ein Rätsel aus Knochen, Eis und vergessenem Wissen

Tief in den unwirtlichen Frostlanden des Nordens, an einem Ort ragen die Überreste einer Stadt aus Schnee und schartig gebrochenem Stein hervor. Die Bewohner der Region nennen sie schlicht „Die Bleiche Stadt“. Niemand weiß genau, wer sie erbaute oder wann sie einst erblühte. Heute ist sie ein heulendes Monument des Todes, aus dem in periodischen Abständen untote Kreaturen strömen, um die umliegenden Lande heimzusuchen. Für die Stämme des Gletscherbundes ist sie ein Fluch und Prüfung zugleich, für Forscher und Gelehrte aller Reiche ein schwelendes Rätsel, und für die Gläubigen der Weberin ein Beispiel für gottlose Verderbnis.


Ursprung und Entstehung – Theorien und Rätsel

Die Bleiche Stadt scheint älter zu sein als jede untergegangene Zivilisation, von der man noch Mythen erzählen kann. Manche nehmen an, sie stamme aus der Zeit vor den Prythaniäern, jenen geheimnisvollen Hochkulturen, die einst Kontinente beherrschten und dann spurlos verschwanden. Andere glauben, sie sei einst ein gewaltiger Tempelkomplex, in dem dunkle Kulte den Tod selbst anbeteten. Wieder andere vertreten die Theorie, dass sie ein Machtzentrum einer vergessenen Nekromantenkaste war, die ihre Sklaven zwang, unter eisigen Bedingungen zu arbeiten, bis alles Leben erlosch.

Häufige Theorien:

  • Die Nekromanten-Hypothese: Einige Gelehrte vermuten, dass mächtige Totenbeschwörer einst in diesen Mauern wohnten und ihre Künste so perfektionierten, dass sie selbst nach ihrem Ableben Untote hervorbringen.
  • Prythania-Relikt: Andere meinen, die Bleiche Stadt sei ein Außenposten des legendären, untergegangenen Prythania gewesen, ein Forschungslabor für arkanes Wissen, das in einer Katastrophe endete.
  • Naturgeborene Verderbnis: Eine Minderheit behauptet, die Stadt sei gar nicht von sterblichen Händen erschaffen, sondern ein natürlich gewachsener Knotenpunkt finsterer Energien, ein Ort, an dem die Grenze zwischen Leben und Tod dünn wie Reif auf einem Ast ist.

Forschungsstand und Expeditionen

Bisher war jede Expedition in die Bleiche Stadt ein Himmelfahrtskommando. Die meisten Forscher und Abenteurer kehren nicht zurück. Wer es doch schafft, berichtet von schneeweißen Ruinen, deren Fensterhöhlen wie leere Augen starren, und von Untoten, die skelettiert und teilweise mit merkwürdigen Metallimplantaten durch die Straßen schlurfen. Einige sprechen von unterirdischen Kammern, in denen ein unheimliches Knistern in der Luft liegt, als ob Magie selbst gefangen wäre und nach Entladung dürstet.

Sowohl Velmorien als auch Calvëndar entsandten bereits Agenten, um mögliche Schätze oder Waffen zu bergen. Die Zwerge Durvalkars haben vereinzelte Runentafeln aus der Stadt geborgen, allerdings ohne brauchbare Übersetzung. Der Gletscherbund schickt meist nur Krieger, um Angriffe der Untoten abzuwehren, da Forschung für sie eher zweitrangig ist. Tjmölrand, das kosmopolitische Zentrum im Gletscherbund, hat zuletzt gelehrte Abgesandte empfangen, die mit vorsichtigen Schritten versuchen, die Ursprünge dieses Ortes zu entschlüsseln.


Umgang der Kulturen mit der Bleichen Stadt

Gletscherbund:
Für die Stämme des Gletscherbundes (Die Städte des Gletscherbundes) ist die Bleiche Stadt weniger ein archäologischer Fundort als eine ständige Prüfung. Regelmäßig strömen Skelettkrieger und untote Wesen von dort aus, um die umliegenden Dörfer heimzusuchen. Für junge Krieger ist es ein Initiationsritus, gegen diese Untoten zu kämpfen und zu überleben. Helheim hat eine Schneise zum Wald geschlagen, um Feinde früh zu erkennen. Utgard nutzt die Nähe zur Bleichen Stadt, um Kinder im Kampf zu stählen. Alfheim, mit seinen aufkeimenden Handelsbeziehungen, betrachtet sie als Gefahr, die Handelswege bedroht.

Velmorien und Calvëndar:
Obwohl sie selbst keine ständige Präsenz entsenden, versuchen sie über Verträge und Belohnungen Krieger anzuwerben, die in ihrem Namen Proben aus der Stadt bergen. Die Politik ist hier vorsichtig: Während Calvëndar auf Wissen und magische Artefakte hofft, will Velmorien vielleicht militärische Erkenntnisse gewinnen. Doch beide sind sich einig, dass man vorsichtig sein muss, um kein übermächtiges Übel zu wecken.

Durvalkar:
Die Zwerge sind von Natur aus misstrauisch gegenüber solchen Mysterien. Obwohl Forscher versucht haben, Runenfragmente aus den Ruinen zu bergen, bleiben die Ergebnisse dürftig. Die Bleiche Stadt ist für sie ein unberechenbarer Störfaktor. Manche Zwerge glauben, dass es eine Prüfung der Ahnen sei, andere halten sie für ein "Löchlein in der Realität", aus dem Todesmagie sickert. Offiziell halten sie sich zurück, beobachten aber, wie ihre Handelspartner – etwa der Gletscherbund – damit umgehen. Nur Die Legion der schwarzen Hand verteidigt die Vurs und Khol Daral des Zwergenreiches täglich vor den Unholden aus der bleichen Stadt.

Kirche der Weberin:
Die Priesterinnen der Weberin sehen die Bleiche Stadt als Frevel gegen den kosmischen Faden der Existenz. Untote sind in ihren Augen Knoten, die das Gewebe stören. Deshalb versuchen sie, ihren Einfluss auf die umliegenden Völker zu nutzen, um diese Quelle der Blasphemie auszumerzen. Einige Weberin-Priesterinnen waren bereits als Missionarinnen in Helheim oder Tjmölrand und behaupten, dass es schicksalhaft ist, die Bleiche Stadt zu reinigen.


Einblick in Gelehrtenwissen – Ein Auszug aus "Von sterbenden Flammen im eisigen Exil" von Verron Lysanth, Calvëndarischer Scholarch

„Ich will es mit eigenen Augen gesehen haben, denn Berichte von Söldnern oder gewitzten Schmugglern genügen meiner akademischen Neugier nicht“, schrieb Verron Lysanth, ein angesehener Scholarch aus Calvëndar, der vor fünf Wintern zu einer Expedition aufbrach. Die folgende Passage stammt aus seinem letzten, in Calvëndar erhaltenem Manuskript, das er an einen Boten schickte, bevor er selbst spurlos verschwand:

Tag 27 meines Aufenthalts im Nordland:
Die Bleiche Stadt hat mich mit stummem Schlund empfangen. Der Wind hier klirrt, als ob er durch ungezählte Rippen streicht. Ich fand Mauern, bleicher als Kalk, Steine, die sich unter meinen Stiefeln zu Staub zermahlen, und Hallen, so still, dass mein eigener Herzschlag wie Donner widerhallt. Ich bin auf Überreste von Statuen gestoßen – Wesen mit leeren Augen und gekrümmten Krallenhänden. Waren es einst Götterbilder? Oder Masken für die Herren der Untoten?

Von den Kreaturen selbst habe ich nur Spuren gesehen: halb verschüttete Schädel, ein verbogener Metallfinger, der wie ein Nagel im Mauerwerk steckt. In einer Ecke kroch etwas Schattenhaftes davon, sobald meine Laterne es streifte. Noch weiß ich nicht, was sie belebt oder wessen Wille sie antreibt.

Auf einem Steinsockel fand ich seltsame Runen – nicht zwergisch, nicht prythanisch, etwas Unbekanntes. Sie glimmen im Mondlicht, aber ich wage es nicht, sie zu berühren. Vielleicht sind sie Schlüssel oder Flüche. Vielleicht eine Warnung: Hier ruht etwas, das nicht geweckt werden darf. Morgen dringe ich weiter in das Zentrum vor. Wenn diese Aufzeichnung euch erreichen, so wisst: Diese Stadt ist kein verfallenes Ruinenwerk, sie ist eine Wunde die nicht heilt. Ich fürchte, dass ihr Kern ein Geheimbis birgt, vor dem selbst Götter fliehen würden.
— Auszug aus: Tagebuch des Verron Lysanth


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