Wolfsnacht

Drei Hunde gegen das Wolfspack

Written by Nightone

Die Geschichten von den drei Hunden des Feldmann-Hofes – dem mutigen und starken Browny, dem schlauen und listigen Whitey sowie dem tollpatschigen und vorlauten Blacky – gehören bei den Kindern Tureliums zu den beliebtesten fabeln überhaupt. Sie wurden ursprünglich von Hermann Ackermann zur Unterhaltung seiner zahlreichen Kinder, Neffen und Nichten ersonnen.   Dabei verfolgen die Geschichten rein den Anspruch, unterhaltend zu sein, auch wenn sie oft eine kleine Moral oder Lektion vermitteln.   Einer seiner Neffen schrieb diese Geschichten später aus dem Gedächtnis auf und ließ das erste Buch „Geschichten vom Feldmann-Hof” im Poitkens Verlag drucken. Es folgten später weitere Bände, die vornehmlich aus der Feder des Neffen selbst unter dem Pseudonym „Sascha von Frommenstein” stammen.
— Vorwort der Redaktion in der neusten Auflage des Buches "Geschichten vom Feldmann-Hof"

Browny, Whitey und Blacky by Nightone w/ ChatGPT



Die erste Geschichte: Wolfsnacht

Draußen auf dem Land, gar nicht so weit von hier, steht ein Hof. Ein Hof wie viele andere, umgeben von weiten Feldern und Wiesen, mit Pferden, Eseln, Kühen, Schafen und Schweinen. Auch Hühner, Gänse, Puten, eine vorlaute Ziege und ein fauler Kater lebten hier. Jedes Frühjahr kam das Ehepaar Storch wieder vorbei, um sein Nest oben auf der Scheune zu beziehen. Und unter dem Gebälk lebte ein ganzer Schwarm Spatzen.   Hier lebte der Bauer Herm Feldmann mit seiner Familie: seiner Frau Andrea und seinen Söhnen Marc und Denne. Sie kümmerten sich gut um das Land und die Tiere.   Natürlich hätten die vier es trotz aller Bemühungen nie geschafft, sich um alles zu kümmern, wenn da nicht ihre drei treuen Hundebrüder gewesen wären, die dafür sorgten, dass es unter den Tieren des Hofes mit rechten Dingen zuging, und die Mensch und Tier jederzeit zu schützen bereit waren.   Da war zuerst der große und kräftige Browny, dessen Fell die gleiche Farbe hatte wie das der Rehe im Wald. Er war so groß, dass er manchmal von Fremden für ein junges Kalb gehalten wurde – bis sie sein Gebiss sahen. Allerdings fraß er deshalb auch eine ganze Menge und mochte es gar nicht, wenn ihn dabei jemand störte. Dennoch war er von allen Tieren der mutigste und sanftmütigste Bewohner auf dem Hof.   Dann war da Whitey. Sein Fell war weiß wie frisch gefallener Schnee – zumindest solange er sauber war. Er war weder so groß noch so stark wie sein Bruder Browny, dafür war er ungemein schlau. Er beherrschte alle Tricks, die sein Herrchen ihm beibrachte, auf Anhieb. Und er war so weise, dass alle Tiere bei Streitigkeiten und anderen Problemen zu ihm kamen, um eine Lösung zu finden. Aber er war auch listig und hatte manchmal den Schalk im Nacken, vor allem wenn er seinen jüngeren Bruder ärgern wollte.   Das war Blacky, dessen Fell schwarz wie die Nacht war. Er war größer als Whitey, aber noch nicht ganz so groß wie Brownie. Er war noch immer von der Unruhe der Jugend erfüllt. Man sah ihn ständig auf dem Hof hin und her flitzen, springen und rollen und hörte ihn dabei bellen. Das konnte er besonders gut und war auch stolz darauf!   Aber er war auch noch sehr naiv, unerfahren und vor allem tollpatschig. Wann immer auf dem Hof etwas scheppernd zusammenfiel, konnte man davon ausgehen, dass Blacky an der Unglücksstelle zu finden war.
Außerdem hatte er, wie viele junge Hunde, eine sehr große Klappe und sprach oft schneller, als er dachte. Um genau zu sein, hatte er schon ganze Absätze gesprochen, ehe sein Kopf auch nur auf die Idee kam, über das Gesagte nachzudenken – eine Eigenschaft, die ihn nicht selten in Schwierigkeiten brachte.   Trotz ihrer Unterschiede und kleinerer Streitereien waren die drei Brüder ein Herz und eine Seele, und das Wohl ihrer Familie – wie sie die Feldmanns nannten – und des Hofes war ihnen das Wichtigste.
 
Der Feldmann-Hof by Nightone w/ ChatGPT
 
Sie alle führten ein gutes und erfülltes Leben auf dem Feldmann-Hof, bis es eines Jahres einen sehr frühen und sehr kalten Wintereinbruch gab. Von den hohen Bergen kamen Unmengen an Schnee und Frost ins Land. Über Nacht froren die kleinen Bäche, Flüsse und Weiher in den nahen Wäldern zu.   Die Tiere drängten sich in der großen Scheune dicht an dicht, um sich gegenseitig zu wärmen. Der alte Bauer musste sogar einen alten Eisenofen aufstellen, damit sie sich nicht erkälteten.   Dieser stand natürlich weit weg vom Stroh der Boxen und durfte nur von Whitey bedient werden. Bauer Herm hatte ihm beigebracht, wie man Holz und Kohle nachlegt – ja, er war ein sehr schlauer Hund! Browny kümmerte sich unterdessen darum, dass kein Tier zu nah an den warmen Ofen ging. Sein besonderes Augenmerk galt dabei Blacky, der viel zu begierig war und ständig versuchte, Whitey zu überzeugen, ihm das Nachlegen von Holz zu erlauben.   Am einfachsten war es dann allerdings, Blacky einfach mit einer anderen Aufgabe zu betreuen, denn niemand in der Scheune wollte es riskieren, dass alles Feuer fing!
 
 
„Blacky“, sprach Browny mit seiner tiefen Stimme dann, „ich habe eine wichtige Aufgabe für dich!“   „Was denn, Browny? Was denn?“ Hechelte der schwarze Hund, voller Vorfreude schlug seine Rute wild hin und her und traf Charlie, den Hahn, ins Gesicht, der empört wegflatterte.   „Ich möchte, dass du eine Wachpatrouille um die Scheune drehst! Gehe bis zum Hoftor und von dort in Richtung der Kartoffelfelder und zum Hühnerstall, ehe du zum hinteren Wiesengatter gehst und an der Schweinesuhle vorbei bis zum kleinen Fischteich und von dort aus wieder zum Tor. Stelle sicher, dass sich nichts dem Hof nähert!"   Da wollte Blacky sofort los rennen, doch als er sich schnell umdrehte und dabei beinahe seine Beine verknottete, fuhr Brownys Pfote auf den wedelnden Schwanz seines Bruders hernieder, wodurch dieser mit dem Hinterteil hart auf den Scheunenboden knallte. „Auohh“, entfuhr dem Jüngsten ein Heulen.   Jetzt sprach Whitey, der gerade eben Feuerholz nachgelegt hatte, mit der kleinen Schaufel im Mund den Ofen geschlossen hatte.
"Hör zu, Blacky, in solchen Nächten können Stimmen in der Ferne rufen. Diese Stimmen können freundlich klingen und dich locken wollen. Sie können aber auch wissen wollen, wo du bist. Antworte ihnen nicht! Niemals!   Du darfst nur bellen, wenn du siehst, dass sich irgendwer dem Hof nähert, ansonsten musst du dich ruhig verhalten, hast du verstanden?"   „Ja, ja, schon klar, nur schauen und nicht bellen. Das bekomm ich hin!“ kam es sofort von Blacky, den die Belehrung seines Bruders mal wieder nervte.   Kaum hatte Browny die Pfote gehoben, schoss der schwarze Hund los in Richtung Scheunentor und stieß dabei fast mit Mila, dem Schaf, zusammen. Erschrocken blökte sie auf, als der jüngste Hund kurz vor ihr abbremste, sich zur Seite warf und dabei hart gegen die Scheunentür knallte.   „Nichts passiert!”, rief er, dann verschwand er so schnell durch die Tür, wie der kalte Windzug hereinkam.   Ein kollektives Seufzen ging durch den Raum.
 
 
Kaum, dass er draußen war, wiederholte der junge Hund für sich:   „Also, auf zum Gehege bis zum Hoftor und von dort aus in Richtung Kartoffelstall und Hühnerfelder. Danach zur Wiesensuhle, rüber zum Schweineteich und Fischgatter und von dort aus wieder zum Tor! Bellen nur, wenn ich jemanden sehe!“ Stolz und voller Tatendrang stapfte Blacky durch den Schnee.   Der Schnee war wie ein dichter, sich bewegender weißer Vorhang. Blacky war froh, dass er genau wusste, wo sich das Tor befand. Schließlich kannte er den Hof wie seine Westentasche – auch wenn er keine Westentasche hatte. Eigentlich hatte er überhaupt keine Tasche und auch keine Weste. Schließlich war er ein Hund und brauchte all diese Dinge nicht.   Während er sich durch den kniehohen Schnee vorarbeitete, fragte er sich, ob er wohl jemanden sehen würde, wenn er am Tor ankam, und wenn ja: wen?   In seiner Fantasie stellte er sich vor, wie eine Bande, nein eine ganze Schar, Räuber auf ihn zukam und wie er sie verjagen würde, obwohl er noch nie Räuber gesehen hatte und gar nicht wusste wie er diese erkennen sollte.   Dann erinnerte er sich an etwas, das ihm Browny mal gesagt hatte.
Sein Bruder hatte ihm damals einmal erzählt, dass er einen Nachbarsjungen dabei erwischt hatte, wie dieser den Kuchen der Familie vom Fensterbrett klauen wollte. - Blacky liebte den Geruch von frisch gebackenem Kuchen. - Browny hatte erzählt, er habe nur einmal bellen und die Zähne fletschen müssen. Da Browny ziemlich große Zähne hatte, hatten der kleine Räuber das Weite gesucht.   Und so stellte er sich vor, wie eine Gruppe von Nachbarsjungen auf ihn zukommen würde, wenn er das Tor erreichte. Er würde bellen und die Zähne fletschen – auch wenn diese noch nicht so groß waren wie die seines Bruders – und die Räuber würden schreiend vor ihm fliehen. Er wäre der Held, alle auf dem Hof würden ihn feiern, die Familie würde ihm Leckereien geben, ihm den Kopf tätscheln und ihm lange den Bauch kraulen. Blackys Rute wedelte vor Vorfreude wie wild, ohne dass er es wollte.   Während er so über sein baldiges Heldendasein träumte, nahm ihm der Schnee die Sicht und verklebte seine Nase. Er merkte nicht, dass er schon lange am Tor vorbeigewandert war. Mittlerweile war er erschöpft und ihm wurde nun doch etwas unangenehm kalt. Als er sich umblickte, sah und roch er nur Schnee. Er lief einige Schritte in diese und einige Schritte in jene Richtung, doch er wusste nicht, wo sein Rückweg langführte, denn der Schnee hatte seine Spuren schon wieder verwischt.
 
 
Plötzlich hörte er etwas: ein langgezogenes Heulen.   Er konnte es erst nicht richtig verstehen. Aber es klang fast wie ein „Wo bist du?”   Da dachte er, das wären bestimmt Browny oder Whitey, die ihn suchten. Es war ihm peinlich, dass er sich verlaufen hatte, zumal er, wie er sein Glück kannte, vermutlich nur wenige Meter von einem Orientierungspunkt entfernt war. Um sich nicht die Blöße zu geben, dachte er, es wäre schlau, einfach in Richtung des Rufens zu gehen, anstatt selbst zu rufen. Er hörte erneut das Heulen in der Ferne, „Wo bist du?”, und fragte sich, wie weit es noch bis zum Hof wäre, als plötzlich der Schneefall aufhörte.   Er fand sich unerwartet unter den Zweigen eines dichten Fichtenwaldes wieder, hinter ihm bildete der Schneesturm eine undurchdringliche Wand, und vor ihm lag die Finsternis des Waldes, voller unbekannter Gerüche und Geräusche.   „Wo bist du?“, heulte es noch einmal in der Ferne.   „Hier, ich bin hier! Aber wo seid ihr?“, heulte er nun selbst in einem langgezogenen Ton. Er wiederholte es immer wieder, ehe er sich an einen Baum schmiegt und sich hinlegte, den Schweif fest zwischen den Beinen eingeklemmt.   Die Träume vom Heldentum waren nun vergessen, ihm war kalt, sein Fell war nass und er bekam wirklich großen Hunger. So hatte er sich das nicht vorgestellt.   „Was haben wir denn hier? Eine kleine schwarze Katze, die verlernt hat, wie man auf Bäume klettert?“, ertönte eine tiefe, raue Stimme, die vor Hohn nur so triefte.   „Ich bin doch keine Katze! Ich bin ein Hofhund, ein Wachhund! Jawohl, das bin ich!“, bellte Blacky, sprang auf und begutachtete den Neuankömmling.   Er sah aus wie ein großer Hund mit gelben Augen und einer Narbe auf der langen Schnauze. Schnee hing in seinem zotteligen grauen Fell, und die Rute war tief angelegt.   Der Graue schnalzte mit der Zunge und bleckte die Zähne. „Und was machst du dann hier, Hofhund? Hier ist kein Hof, hier ist der Wald.“ Seine leuchtenden Augen taxierten den wesentlich kleineren Hund.   „Ich ... Ich war auf Erkundung, um uns vor Räubern zu schützen, und bin wohl etwas vom Weg abgekommen. Hast du hier zufällig ein paar Räuber gesehen?“ Blacky schluckte vor Verlegenheit und versuchte, das Thema zu wechseln.   „Räuber?“, fragte der Graue mit gespieltem Unglauben. „Nein, hier gibt es keine Räuber, nur uns freundliche Waldhunde. Sag mal, auf was für einem Hof lebst du eigentlich?“ Der Graue lächelte wölfisch, und Blacky fiel auf die gespielte Freundlichkeit herein.
„Oh, es ist ein schöner Hof. Unsere Familie kümmert sich um viele Tiere: da sind Bronto, das Pferd, und Ilsa, die Eselin. Oh, und dann sind da noch Mina, Margrett, Mechtild und Manuela, die Schafe, und die Hühner Kristina, Henrietta, Hanne ...“   „Oh, das klingt, als wären dort sehr viele Tiere; musst du sie alle alleine beschützen?“, unterbrach ihn der Graue mit einem sonderbaren Unterton.   „Nein, nicht allein, auch wenn ich es natürlich könnte. Aber meine Brüder Whitey und Browny helfen mir, vor allem, wenn der Bauer Herm nicht da ist, sondern die Felder bestellt oder was auch immer die Menschen so tun.“ Blacky ging nun voll in seiner Geschichte auf. So konnte er sich vor dem Fremden als strahlender Beschützer darstellen, ohne dass seine Brüder ihn hätten unterbrechen können.   „Oh, ich verstehe. Weißt du was? Der Schneefall ist so stark. Du solltest heute nicht mehr zurück. Komm mit mir. Ich zeige dir einen Ort, wo du schlafen, trinken und etwas essen kannst. Wenn der Sturm vorüber ist, bringen wir dich zurück zu deinem Hof.   Hungrig, nass und müde, wie Blacky war, stimmte er zu, und der Graue brachte ihn zu einer Felsenhöhle tief im Wald. Blacky fand, dass es dort sehr streng roch, aber er beschwerte sich nicht, denn der Fremde war so freundlich, ihm einen Schlafplatz anzubieten, und er gab ihm auch etwas Fleisch zu essen, ein Stück Reh, wie der Graue sagte. Es war bitterer im Geschmack als das, was ihm der Bauer sonst gab, aber er war so hungrig, dass er es trotzdem verschlang. Dann schlief er gesättigt und hundemüde sehr schnell in der trockenen Höhle ein. Er hörte nicht mehr, wie der Graue noch einmal hinausging und seine Freunde herbeirief.
 
Der Graue by Nightone w/ ChatGPT
 
 
Am nächsten Tag führte der graue Waldhund ihn wieder aus dem Wald heraus bis zur Straße der Menschen. Dort konnte Blacky nun seine eigene Fährte aufnehmen. Der Graue begleitete ihn, sprach ihm gut zu und hatte überhaupt nur freundliche Worte für den schwarzen Hofhund übrig.   „Da ist es! Das ist das Tor zu unserem Hof. Das große Gebäude links ist unsere Scheune. Oh, wie sehr freue ich mich schon darauf, mich am Ofen aufzuwärmen! Komm, lass uns reingehen! Dann kannst du das auch tun. Und bestimmt hat der Bauer auch noch etwas Wurst für dich übrig!“ bellte Blacky freudig.   „Nein, nein, ich will zurück in den Wald. Außerdem werde ich später noch etwas Großes zu fressen bekommen. Da will ich mir den Appetit nicht verderben. Mach es gut, du großer Wächterhund!“, grinste der Graue.   Da ging der Graue zurück in Richtung Wald und auch Blacky setzte mit großen Sprüngen in Richtung Hof los. Als er das Tor erreichte, sah er Browny, der gerade im Schnee schnüffelte, um Blackys Fährte zu finden.   „Wo warst du?!” bellte er tief dröhnend, als Blacky ihn erreichte.   „Beim grauen Waldhund! Komm, lass uns reingehen, dann erzähle ich dir von meinem Abenteuer“, kläffte er freudig.
In der Scheune erzählte er die Geschichte, verschwieg dabei allerdings, dass er sich eigentlich verlaufen hatte und Hunger und Kälte ihn zermürbt hatten. Als er fertig war, blickten ihn seine Brüder mit großen Augen an, und Blacky war überzeugt, dass sie ihn nun als waschechten Abenteurer sahen.   Doch die Illusion hielt nur einen Augenblick, denn plötzlich jaulte Browny vor innerem Schmerz auf und Whitey kläffte wütend: „Du Dummkopf! Was habe ich dir über die lockenden Stimmen gesagt? Das war kein Waldhund, das war ein Wolf! Ein elender, grauer Wolf. Der hat es auf alle Tiere hier abgesehen und will sie fressen! Und du Held hast ihm gezeigt, wo wir alle wohnen! Bestimmt ruft der jetzt seine Freunde zusammen. Wölfe haben viele Freunde. Und dann überlegen sie sich, wen sie als Erstes fressen wollen!“   Damit einher ging ein erschrockenes Stimmgewirr der anderen Tiere in der Scheune. Das Blöken, Wiehern, Muhen, Gackern, Quaken, Meckern und Quieken war ohrenbetäubend, und Blacky wünschte sich, er könnte so klein sein wie Jerry Maus und zwischen den Bodendielen verschwinden.   Als sich alle beruhigt hatten, blickte Whitey in die Runde:   „Ok, wir brauchen einen Plan! Und zwar einen verdammt guten!“
 
 
Als die Nacht hereinbrach, setzte auch der Schneefall wieder ein und hüllte das Land in Stille. Niemand hörte das Knirschen des Schnees, als die Pfoten der Wölfe ihn durchbrachen. Sie liefen geduckt und langsam, während sie sich dem Feldmann-Hof näherten. Jenseits der Zäune warteten sie, bis das Licht im Haupthaus erloschen war. Dann warteten sie noch eine ganze Weile, ehe sie sich zwischen den Zaunpfosten durchschlängelten und die Scheune einkreisten.   Schnell hatten sie drei Zugänge entdeckt: Die große Scheunentür stand einen winzigen Spalt weit offen, als hätte sie jemand nicht richtig geschlossen. An der Seite der Scheune gab es ein Fenster, dessen Fensterladen nicht geschlossen worden war, um frische Luft in den Raum zu lassen, in dem ja auch ein Ofen qualmte. Zu guter Letzt fand einer der Wölfe eine angebrochene Latte an der Hinterwand, die sie mit Leichtigkeit durchstoßen konnten.   Der Graue war hochzufrieden und leckte sich den Geifer von den Zähnen, als er seinen Kameraden das Zeichen zum Angriff gab.   Was danach geschah, war ein einzigartiges Durcheinander, das die Wölfe nicht vorhersehen konnten. Whitey hatte einen meisterlichen Plan ausgeheckt. Er hatte die Tür und das Fenster absichtlich geöffnet, damit die Wölfe eindringen und von den Hoftieren gebührend in Empfang genommen werden konnten.   Drei Wölfe stürmten gegen die Fronttür, stießen sie mit einem gewaltigen Ruck auf und drangen zusammen mit Wind und Schnee ein. Geifernd blickten sie sich um, sahen aber nur den dicken Ernest, das Hängebauchschwein, unweit des Ofens sitzen.   Fröhlich blickte er zuerst in ihre Richtung und dann nach oben. Die Wölfe folgten seinem Blick. Über sich sahen sie einen großen, schweren Heuballen hängen. Da erhob sich Ernest und gab das Seil frei, das seinen breiten Hintern festgehalten hatte. Das Tau zischte mit derselben Geschwindigkeit nach oben, mit der der Heuballen auf die fassunglosen Wölfe niederfiel.   Durch das Fenster sprangen zwei weitere Wölfe in die Scheune und landeten mitten unter Hacken, Heugabeln und anderen spitzen Werkzeugen, die die Hofbewohner hier gezielt ausgelegt hatten.
Die beiden heulten schmerzerfüllt auf und wurden schlagartig still, als Berta, die Kuh, den großen Trog, den Whitey unter viel Mühe auf den Rand der Stallbox gehievt hatte, umstieß, sodass er direkt auf den Köpfen der Wölfe landete.   Drei weitere Wölfe stürmten unterdessen durch das Haupttor und setzten über den Strohballen, der ihre Kameraden zu Boden drückte, hinweg, nur um von einem Salvenfeuer aus Objekten bombardiert zu werden. Alle Hühner und Gänse hatten sich im Gebälk der Scheune verschanzt und bewarfen die Wölfe nun mit Geschossen. Sie hatten sich besonders viel Mühe gegeben und mehr Eier als sonst produziert.   Außerdem hatten sie mit Hilfe der vier Eichhörnchen Mirp, Tilp, Clip und Clap, die in einem Nest im hintersten Eck der Scheune überwinterten, Steine und andere harte Gegenstände als Munition heraufgebracht.   Am hinteren Teil der Scheune warfen sich die Wölfe zur gleichen Zeit gegen die angebrochene Latte, um einzudringen. Dies hatte Whitey jedoch nicht vorhergesehen. Doch er überlegte und fand schnell eine Idee, als ihm Mina das Schaf berichtete, dass die Latte kurz vorm Nachgeben war.   Er führte Bronto, den Ackergaul, mit zu jener Stelle. Als das Holz dann nachgab und der erste Wolf gierig den Kopf durch die Öffnung steckte, traf ihn ein harter Pferdekuss, sodass ein Hufabdruck auf seiner Stirn zurückblieb und er nach hinten taumelte.   Bevor ein zweiter Wolf sein Glück versuchen konnte, tauchte draußen Browny auf. Er sah die verbliebenen drei Wölfe vor dem Loch an. „Jungs, ihr habt euch den falschen Hof ausgesucht!“ Danach stürzte er sich auf die Bande.   Im Innern war die Schlacht in vollem Gange:   Jeder, der konnte, teilte kräftig aus, und die Hoftiere schützten sich gegenseitig vor den Übergriffen der Wölfe. Ilsa, die Eselin, trat fast so fest zu wie Bronto. Mickey, der Ziegenbock, stürmte von links nach rechts und stieß den Wölfen kräftig in die Rippen. Bruno, der Stier, nutzte seine Hörner, um die Angreifer vor sich her zu scheuchen.
 
Dann trat der Graue herein, schleuderte den Strohballen mit seinem Maul fort und befreite so seine Kameraden. Das Geflügel hatte keine Munition mehr und die meisten Tiere waren außer Atem, während Browny draußen kämpfte.   Es sah nicht gut aus. Der Graue war nicht nur groß, sondern auch stark und schnell. Als er erkannte, dass Whitey das Kommando über die Verteidiger hatte, sprang er auf diesen zu und verpasste ihm einen kräftigen Hieb, der den kleinen weißen Hund durch die Scheune schleuderte und ausschaltete.   „Genug gespielt, es ist Zeit zum Fressen!”, grollte er, als sich die anderen Wölfe erholten und um ihn versammelten.   „Ni... Nicht so schnell! Du Lügner!“, brachte Blacky urplötzlich stammelnd hervor. Er hatte sich die meiste Zeit über hinter der Scheunentür aufgehalten und die Wölfe nur aus dem Hinterhalt angegriffen, indem er ihnen in die Rute und den Hintern biss. Als sich nun allerdings alle Wölfe zu ihm umdrehten, wurde ihm ganz flau im Magen.   „Ah, da ist er ja: der große Hofhund, der mächtige Wächterhund. Ich wollte dir noch danken, dass du uns den Weg hierher gezeigt hast. Weißt du was? Dich werde ich verschonen. Dreh dich einfach um und verschwinde in die Nacht, Kleiner.“ , grollte der Graue.   „Das geht nicht! Ich muss meine Freunde undmeine Familie schützen, denn das ist meine Aufgabe. Ich sorge dafür, dass du jetzt verschwindest!“   Daraufhin lachten die Wölfe böse und begannen, ihn zu umzingeln. Blacky rannte los, direkt auf den großen grauen Wolf zu. Dieser riss das Maul auf, um den kleineren schwarzen Hund zu zerfleischen.   Doch gerade als er zuschnappte, griffen seine Zähne ins Leere. Blacky war beim Rennen wieder einmal ins Stolpern geraten, nach vorne gekippt und dadurch dem Gebiss des Gegners entgangen. Außerdem rollte er gegen die Beine und die Brust des Wolfes, welcher deshalb selber ins Taumeln geriet und über Blacky zu Boden fiel.   Als sich die beiden aufrappelten, stieß Blacky versehentlich mit dem Kopf gegen den Kiefer des Grauen, sodass es nur so schepperte.
Dieser schwankte nun benommen, und die anderen Wölfe schauten verwundert zu, wie Blacky als Nächstes mit der Schnauze einen großen Blecheimer griff und ihn in Richtung des Grauen schleuderte.   Eigentlich hatte er vorgehabt, den Eimer gegen den Kopf zu knallen. Jedoch konnte er den Eimer nicht gut festhalten, sodass er über den Wolf hinwegflog und direkt gegen die Ofentür prallte. Diese löste sich daraufhin und schwang auf. Niemand bemerkte, wie ein einzelner brennender Holzscheit herausfiel.   Der Wolf fing sich wieder, knurrte wütend in Blackys Richtung.   Dann roch er den qualm und spürte plötzlich einen brennenden Schmerz in seinem Schweif. Als er sich umblickte, sah er, dass dieser Feuer gefangen hatte. Er hatte ihn, ohne es zu bemerken, über den brennenden Scheit gehalten. Mit einem lauten, angst- und schmerzerfüllten Heulen stürmte er an Blacky vorbei nach draußen in die Nacht, um im Schnee das Feuer zu löschen.   Inzwischen waren auch der Bauer Herm und seine Söhne Marc und Denne aufgrund des Lärms in der Scheune aufgestanden und hatten sich bewaffnet. Der brennende Wolf bot Denne mit seinem Bogen ein hervorragendes Ziel.   Bald darauf flüchteten die übrigen Wölfe in alle Himmelsrichtungen. Der Bauer belohnte die drei Hunde, die allesamt Blessuren davongetragen hatten, mit einer extra großen Futterration, und die Familie verwöhnte sie mit Streicheleinheiten.   Die Tiere auf dem Hof waren gerettet. Der Bauer hatte hinterher fünf Wolfpelze. Aus vier davon ließ er Umhänge für die Familie machen und aus einem besonders großen einen Kaminvorleger.   Blacky wurde von allen dazu beglückwünscht, dass er sich dem Grauen gestellt und ihn besiegt hatte.   Dass der schwarze Hund bei Stürmen nun jedoch keine Wachrunden mehr drehen wollte, konnten seine Brüder gut verstehen.   Nun hatte auch Blacky eine wichtige Lektion gelernt:   Nur weil jemand freundlich scheint, ist er es noch lange nicht!


Cover image: Old Books by StockSnap

Kommentare

Author's Notes

Entry for Imagica’s Unofficial Challenge:


Background images:
Der Feldmann-Hof by Nightone w/ ChatGPT


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Sep 16, 2025 10:40

I greatly enjoyed reading this!

Come see my worlds: The Million Islands, High Albion, and Arborea
Sep 16, 2025 10:43

Thank you very much.
I am happy that you liked it ^^

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A lot of unofficial Challenges
Sep 16, 2025 15:48

Sehr schöne Geschichte :)

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Dive with me into the depths of the oceans and see what I have prepared for Worldember.
Here are my Entries for the water continent Ulűri̋qi̋
.
Sep 16, 2025 15:59

Danke dir ^^
Ich freue mich das sie dir gefällt.

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A lot of unofficial Challenges
Oct 7, 2025 12:14 by Imagica

What a delightful read! I love Blacky so much, his naivety and good will and the fact he wanted so badly to prove himself makes him such a great character <3 This was beautiful! Thank you for entering my challenge with this tale :) (I see you already have the participation badge, so I will not post it here as I normally do)

Worldember is finally here!! Here is my pledge!
I'm a Comment Caroler! Click to learn more
 
Come visit my world of Kena'an for tales of fantasy and magic! Or, if you fancy something darker, Crux Umbra awaits.
Oct 13, 2025 19:20

Thanks, I am glad you liked the little fellow ^^
it was much fun to revivify this very old tale ^^
I took the liberty to use the img code for the badge as it is "only" for participition.

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A lot of unofficial Challenges
Oct 16, 2025 13:41 by Imagica

Congratulation!! Your tale was the winner of the challenge <3 Both me and my husband who assisted me in judging loved it! Here is your winner badge and you can find the related shortlist and winner announcement in this article. Thank you so much for joining!!  

Winner Badge

Worldember is finally here!! Here is my pledge!
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Come visit my world of Kena'an for tales of fantasy and magic! Or, if you fancy something darker, Crux Umbra awaits.
Oct 29, 2025 08:32

Wow! Thank you very much for the award! I am really glad that both of you enjoyed my little tale!

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A lot of unofficial Challenges
Oct 10, 2025 18:04

Wunderschön Geschichte, so richtig old school Märchenbuchstil. Gefiel mir sehr gut zu lesen.

Enjoy Worldember 2025!
I'm a Comment Caroler! Click to learn more
Oct 13, 2025 20:44

Danke dir vielmals, schön das der alte Stil so rüber kommt wie beabsichtigt (auch wenn das Happy Ending seltener bei diesen Geschichten war ^^)

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A lot of unofficial Challenges