Die Hügelwälder von Sembalu

...erzählt von Baruak, dem Jäger

Weit im Nordosten, wo die Nebel niemals gänzlich schwinden und das Sonnenlicht sich nur zögernd durch das dichte Blätterdach wagt, breiten sich die Hügelwälder von Sembalu aus. Sie sind kein Reich, das man besitzt oder bezwingt – sie sind ein Atem, der lebt, ein uraltes Wesen, das den Schritt jedes Fremden spürt. Wer in diese Wälder tritt, fühlt sich beobachtet, nicht feindlich, sondern prüfend, als frage der Wald selbst, ob man seiner Stille würdig ist.

Der Name Sembalu stammt aus der alten Sprache der Simiah, die hier seit ungezählten Generationen leben.

„Sembah-lu“ nennen sie ihr Land – „der Nebel, der trägt“. Sie sagen, der Nebel sei die Haut des Waldes, und sein Atem das Leben, das durch alles fließt – durch Wurzel, Blatt und Blut.

In Sembalu gibt es kein Oben und Unten, keine klare Grenze zwischen Himmel und Erde. Der Nebel schmiegt sich an die Bäume, durchdringt das Moos, und selbst der Wind scheint leiser, als wolle er nicht stören.

Landschaft und Atmosphäre

Die Hügelwälder sind ein endloses Geflecht aus uralten Eichen, Farnen und herabhängenden Moosteppichen. Kristallklare Bäche schlängeln sich durch sanfte Senken, verschwinden in Mulden aus Nebel und tauchen anderswo wieder auf. Der Boden ist weich wie gewebtes Tuch, bedeckt von glühenden Pilzkolonien, die in der Dämmerung wie schlafende Sterne funkeln.

In den Nächten erzählt der Wind Geschichten. Manche Reisende behaupten, in seinem Rauschen Stimmen zu hören – alte Lieder in der Sprache der Simiah, getragen von den Geistern des Waldes.

Zeit und Wahrnehmung

In Sembalu vergeht Zeit anders. Ein Tag kann sich anfühlen wie eine Woche, oder eine Woche wie ein Atemzug. Vielleicht ist es der Nebel, vielleicht eine alte Magie, die die Grenzen der Welt hier verschiebt.

Doch niemand, der in diesen Wäldern verweilt, bleibt unberührt. Selbst jene, die schweigend hindurchziehen, tragen danach etwas von Sembalu in sich – den Duft von Erde, den Klang ferner Wasser, das Gefühl, dass der Wald sie noch immer beobachtet.

Die Geschichte des brennenden Waldes

Vor einigen Jahren erschien im Westen ein fremdes Volk – Menschen, die nach Bernstein, Holz und Erz suchten. Sie nannten den Ort „Sembalu-Tal“ und begannen, Schneisen in den Wald zu schlagen. Die Flammen, mit denen sie den Boden säuberten, griffen außer Kontrolle. In einer Nacht verbrannten ganze Hügelzüge.

Seitdem ist der Westen von Sembalu vernarbt – schwarze Stümpfe, giftige Erde, kein Vogelgesang. Die Simiah nennen dieses Gebiet „Tanah Mati“ – das tote Land.

Die verlorenen Wanderer

Es heißt, manche Reisende, die Sembalu betreten, finden nie wieder hinaus.

Nicht, weil der Wald sie verschlingt, sondern weil sie dort bleiben – nicht körperlich, sondern geistig.

Ihre Stimmen sind in den Winden, ihre Schritte im Rascheln der Blätter, ihre Schatten im Nebel. Die Simiah sagen, diese verlorenen Seelen seien „die Atemlosen“ – Menschen oder Tiere, die den Atem des Waldes so tief einatmeten, dass sie vergaßen, wer sie zuvor gewesen waren.

Nachts, wenn der Mond über den Nebeln steht, kann man ihre Silhouetten zwischen den Stämmen sehen – nicht als Gespenster, sondern als Teil des Waldes selbst.

Tief im Inneren der Hügelwälder, wo der Nebel niemals bricht, steht ein einzelner Baum, älter als jedes Lebewesen. Die Simiah nennen ihn Rembah, den Wurzelträger, älter als jedes bekannte Lebewesen.
Seine Rinde ist dunkel wie verbrannte Erde, und seine Krone leuchtet in der Dämmerung wie stilles Feuer.
Man sagt, wer seine Hand an den Stamm legt, hört ein Herz schlagen, nicht das eigene, sondern das des Waldes. Nur wenige durften ihn sehen, und keiner, der ihn sah, blieb derselbe
— -- Geschichten über Sembalu

Sembalu ist kein Ort, den man auf Karten verzeichnen kann. Es ist ein Zustand – der Herzschlag der stillen Welt, das Lied des Nebels, das niemals ganz vergeht.

Es erinnert an das, was ungezähmt bleibt, und daran, dass selbst das leiseste Leben Teil

eines größeren Atems ist.

Im Atem des Waldes liegt die Erinnerung der Welt
— -- Archiv der Simiah


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