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Mon, Feb 26th 2024 08:32   Edited on Wed, Mar 27th 2024 10:28

[Tag 12 Vormittags] Scherben

Mit einem klirrenden Scheppern fielen die Einzelteile der verunglückten Seladonvase auf den Boden. Verunglückt war nur ihr Brand gewesen, nicht das Ereignis, das zu ihrer Zerstörung geführt hatte. Dieses hatte Ailis ganz bewusst herbeigeführt. Sie ertrug ihren Anblick nicht länger, zu sehr erinnerten sie sie daran, versagt zu haben. Wäre sie mutiger gewesen, es hätte ein Ausweg aus dieser Abwärtsspirale sein können. Aber sie hatte diese Chance nicht nur verstreichen lassen, sondern aktiv abgelehnt. Sich gegen das Haus Coveani zu stellen, hätte nur die Opfer ihrer Familie geschmälert.   Eine weitere Vase prallte gegen die Wand und zersprang. Sie wollte nicht mehr kämpfen, keine Angst mehr haben, sich nicht mehr nur von einem Tag zum nächsten retten. Fram hatte sich geweigert und dann mit seinem Leben bezahlt. Seine Tochter Brin war vermutlich ebenfalls tot. Und es gab Momente wie diesen, in denen Ailis sich wünschte, sie wäre es ebenfalls.   Begleitet von einem wütenden Schrei flog die nächste Vase auf die Wand zu. Sie hatte alles getan, um ihr Leben so sorgenfrei zu gestalten wie möglich. Sie hatte sich erniedrigt und es gab schlimmere Kerle als Halvar. Ihre zusätzliche Abmachung neben dem Mindestsatz an Steuern war Geschichte, sonst hätten sie Toren nicht zusammengeschlagen. Im Hier und Jetzt würde nur bestehen, wer Stärke oder Macht besaß. Ailis hatte beides nicht. Ihre Großmutter hatte recht und sie konnte sich nur noch an einen mächtigeren Herren binden. Oder in diesem Fall einer Herrin.   Ailis hatte die letzte Vase schon angehoben und entschied sich sie, mit vor Wut zitternden Händen, wieder ins Regal zu stellen. Es war die zweitbeste Seladonvase gewesen, die sie gefertigt hatte. Das beste Stück hatte sie an Gregorian verkauft. Und während sie die Scherbe durch die durchsichtige grüne Glasur betrachtet hatte sie sich entschieden alles auf eine Karte zu setzen. Sie war keine Bittstellerin, sie war eine loyale Anhängerin. Das waren die Casteres immer gewesen.   Tessaya hatte nichts gesagt, als ihre Enkelin verkündete nun doch zur Gräfin zu gehen. Die alte Meisterin hatte darauf vertraut, dass Ailis selbst die richtigen Entscheidungen treffen würde. Natürlich hätte sie selbst gehen können, aber eine alte Frau hat wenig Zukunft, selbst wenn sie noch so loyal ist. Und so hatte sie schweigend die Scherben zusammengekehrt. Und als ihre Enkelin sich frisch gemacht und umgezogen hatte, hat sie ihr eine Schärpe in der Farbe des Hauses umgebunden, jenes Zeichen dass die loyalen Familien im Krieg der Häuser als Erkennungsmerkmal getragen hatten.   Und so tritt Ailis vor die Residenz der Coveani, der Grandafratoj. Sie ist sauber, ordentlich gekleidet, bewaffnet mit ihrer Schärpe und auf dem Rücken trägt sie die Kiepe mit der auf Stroh gebetteten Seladonvase. “Ich bin Meisterin Casteres und möchte mit Gräfin Coveani sprechen.” gibt sie den Grund ihres Kommens an.
Tue, Feb 27th 2024 02:11   Edited on Tue, Feb 27th 2024 02:14

Die Wache mustert Ailis sichtlich amüsiert. "Die Gräfin? Ja klar, kein Problem. Vielleicht auch Kaiser Avenna, wenn wir schonmal dabei sind? Oder Anesh?" Er lacht lauthals auf, was die Aufmerksamkeit der anderen Wachen auf Ailis lenkt, denen er ihr Anliegen erläutert und die in sein Lachen einstimmen.    Ailis sieht schon alle ihre Felle davonschwimmen und die Demütigung versetzt ihr einen schmerzhaften Stich, da bahnt sich jemand seinen Weg durch die versammelten Wachen am Fuße des Frateto. Der Mann ist groß und überragt die Wachen um Haupteslänge, dabei ist er dürr wie ein Stecken, hat einen kleinen Buckel und trägt einen langen braunen Kittel über einer Tunika. Seine Finger sind tintenfleckig und knotig. Das muss einer der Schreiber sein, die ihre Stuben in dem zweiten Turm haben, dem Maljufrato. Er geht zu der Wache, die Ailis als erstes angesprochen hat und redet leise und eindringlich auf den Mann ein. Dessen Gesichtsausdruck wechselt von amüsiert zu ärgerlich, bis er endlich einen tiefen Seufzer ausstößt. "Bei Borsennas Eiern, ist ja gut. Ich habs kapiert!" Er sieht Ailis ungläubig an und schüttelt verständnislos den Kopf. "Ich verstehs zwar nicht, aber die Gräfin will euch tatsächlich sehen." Er zuckt die Schultern und seine Verwirrung spiegelt sich auch in den Gesichtern der anderen Wachen wider.   Ailis wird jetzt offenbar der Obhut des Schreibers übergeben, denn die Wächter zerstreuen sich wieder und kehren auf ihre Posten zurück. "Ich bin der Erste Schreiber Verla, Majstro Casteres", stellt er sich vor. "Ihr müsst den Wachen vergeben, sie taten nur ihre Pflicht. Folgt mir bitte."   Ailis hat schon von Maurizio Verla gehört. Er überwacht die Schreibstuben und das Archiv des Hauses Coveani und gehört zum engsten Beraterkreis der Gräfin. Die Wichtigkeit und der Einfluss dieses Mannes passen so gar nicht zu seiner wenig repräsentativen Aufmachung. Sie folgt ihm die kurze Strecke bis zum Maljufrato und durchschreitet das Tor ins Innere des Turms. Sie durchqueren einen Raum, in dem acht Schreiber über ihren Pulten brüten, einem davon flüstert der Erste Schreiber etwas ins Ohr, woraufhin dieser davoneilt. Ailis folgt ihrem Führer in einen kleinen Raum, der von einem Schreibtisch und einem Pult dominiert werden, die über und über mit Papier, Kreidetafeln, Wachstafeln, Griffeln und Federkielen bedeckt sind. Durch ein hohes schmales Fenster fällt Licht in den Raum und um ihn vollends zu erhellen, bedarf es einiger Kerzen, die bedenklich nah an den Papierstößen stehen.    "Wir haben gerade bei der Ratsbesprechung über euch geredet", erklärt Maurizio Verla. "Ihr hattet Glück, dass ich gerade in der Nähe war, sonst hätte die Wache euch weggeschickt. Er war etwas grob, das gebe ich zu, aber andererseits kann man auch nicht jeden einfach zur Gräfin vorlassen."   Ein Mann betritt den kleinen Raum, der dadurch noch erheblich kleiner wird. Ailis kennt ihn vom Sehen, denn er ist riesig, fett und kleidet sich noch dazu in schreiend bunte Farben. "Ich bin Enno", erklärt der Riese und verneigt sich kurz. "Folgt mir bitte, Majstro Casteres." Und wieder wird Ailis weitergereicht und folgt nun dem Riesen Enno eine Wendeltreppe nach oben. Unterwegs lassen immer wieder schmale Fenster, fast Schießscharten, Licht in das diesige Treppenhaus. In regelmäßigen Abständen passieren sie Absätze, von denen Türen in die Räume des jeweiligen Stockwerks führen. Aber ihr Weg führt immer weiter nach oben, bis sie endlich eine Holztreppe erklimmt, die aufs Dach führt.   Sie steht jetzt auf dem höchsten Gebäude Pelorns. Die Stadt und das Meer scheinen sich vor ihr gleichermaßen unendlich auszubreiten. Sie befindet sich im Dachgarten der Gräfin, den man vom Boden aus nur erahnen kann. Schmale Kieswege führen durch eine auf dem Boden angelegte Rasenfläche. Es muss Tage gedauert haben, die benötigte Erde diese schmale Treppe hinaufzubringen. In runden Hochbeeten wiegen sich Rosenbüsche im Meereswind, in großen Tonvasen stehen Sanddorn und Schlehdorn, Seelavendel und Strandflieder säumen den Weg in geschwungenen Beeten. Ihr Duft mischt sich mit dem kräftigen Geruch von frischem Mulch und Meeresluft. In der Mitte des Gartens und im Zentrum der ganzen Anlage reckt ein Feuerahorn seine Äste in die Höhe.   Die Treppe, über die Ailis den Garten betreten hat, wird von einem steineren Dachhäuschen vor Wind und Wetter abgeschirmt. Der Balken des hölzernen Türsturzes bildet in seiner Verlängerung den Teil einer Pergola, dessen hölzerne Konstruktion es erlaubt, über eine Reihe von Seilen schwere Vorhänge aus Segeltuch zum Schutz vor den Elementen hierhin und dorthin zu bewegen. Das ganze erinnert Ailis an ein Schiff, denn die Seile knattern leise im Wind und das Tuch bauscht sich in einer Brise vom Meer. Unter der Pergola - dessen Vorderseite gerade gänzlich offen ist - steht ein Schreibtisch aus Metall mit einer schweren Glasplatte darauf. Mehrere Diener mussten Blut und Wasser geschwitzt haben, das wertvolle Stück ohne Unfall die enge Treppe hinauf zu schaffen. Hinter dem Schreibtisch steht ein spartanisch aussehender Stuhl mit einer Sitzfläche aus Mosaiksteinchen, deren Motiv Ailis aber nicht erkennen kann. Zwei gleiche Stühle stehen vor dem Schreibtisch. Das alles ist offenbar dazu gedacht, hier draußen den Elementen zu trotzen.    Enno verteilt nun kleine Kissen auf den harten Stühlen und richtet einige Schreibutensilien auf der Glasplatte her. Dann stellt er ein Tablett mit einem einfachen Tonkrug und zwei Bechern sowie einer Schale mit Obst auf den Schreibtisch und verneigt sich wieder in Ailis Richtung. "Gräfin Coveani wird in Kürze hier sein." Und damit geht er wieder nach unten und verschwindet im Bauch des Turmes.   Ailis bleibt etwas verwirrt zurück.   Tatsächlich vergeht kaum Zeit, ehe sie jemanden mehrere Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinaufkommen hört. Gräfin Alessandrina trägt eine beige Uniformhose und ein langärmliges schwarzes Wams mit goldenen Stickereien an Ärmelaufschlägen und Kragen. Am Ringfinger ihrer rechten Hand blitzt der Siegelring des Hauses Coveani. Offenbar kommt sie gerade von einem Termin oder einer Besprechung und hat tausend Dinge im Kopf. Als sie Ailis sieht, schiebt sie diese Dinge mit einem Lächeln beiseite. "Majstro Casteres!", begrüßt sie sie ganz unprätentiös. Sie zieht das Wams aus und hängt es über ihre Stuhllene, dann öffnet sie die obersten zwei Knöpfe des Hemdes, dass sie darunter trägt und zieht das Band aus ihren Haaren, das ihren Pferdeschwanz zusammenhält. Sie schüttelt ihre Haare aus und schenkt dann sich und Ailis einen Becher Wasser ein.    Dann lehnt sie sich gegen die Schreibtischkante, nippt an dem Becher und mustert Ailis mit einem durchdringenden Blick. Trotz aller Lockerheit fühlt die Töpferin sich plötzlich wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.   "Also, was führt euch zu mir?"
Wed, Feb 28th 2024 09:18

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ailis war schon kurz davor gewesen, sich eine andere Strategie zu überlegen, um an ihr Ziel zu gelangen. Die Zunft wäre sicherlich eine ebenso gute Möglichkeit gewesen, vielleicht sogar eine bessere. Aber Avenna sei Dank gab es höhere Mächte, die ihre Finger im Spiel hatten. Und zum Glück der Wache fühlte die Töpfermeisterin nicht einmal Schadenfreude. Sie machten nur ihre Arbeit, folgten Anweisungen. Jeder hatte seine Position in einem filigranen Gefüge und allein Ailis’ Kühnheit oder eher Verzweiflung rüttelte schon daran.   Als der Schreiber sie aus der Situation rettete, konnte er für den Moment Erleichterung in ihrem Gesicht ablesen. Doch es wich schnell einem neutralen, abgehärteten Ausdruck, den so viele in Pelorn zur Schau trugen. Man sah ihn bei jenen, die schon viel verloren hatten und die noch immer etwas verlieren konnten. Sei es materieller Besitz oder Würde oder das Leben.   Freundlich hatte Ailis den Schreiber begrüßt und sich bedankt, bevor sie seinen Worten lauschend gefolgt ist. In dem kleinen Raum angekommen, ist sie ob seiner Offenbarung überrascht. “Nun, dann hoffe ich, dass ich für positiven Gesprächsstoff gesorgt habe.”   Auch Enno begrüßt sie höflich und verabschiedet sich ebenso von Verla, bevor sie dem persönlichen Diener der Gräfin folgt. Ihre hölzernen Schuhe erzeugen bei jedem Schritt durch das Gemäuer einen klackernden Laut. Und beim Erklimmen des Turmes gesellt sich das Knarzen der Kiepe auf ihrem Rücken dazu. Auch wenn der Aufstieg ungewohnt sein muss, bemüht sich die Töpferin um gleichmäßige Schritte, um nicht außer Atem oben anzukommen. Es scheint zu helfen, dass ihre Arbeit nicht nur daraus besteht, einen sich drehenden Klumpen Ton zu formen.   Der Dachgarten indes raubt ihr beinahe den Atem. Gärten dieser Art sind Teil ihrer längst verblassten Erinnerungen. Nicht unbedingt auf Dächern gelegen und zeugten sie vor dem letzten Häuserkrieg vom Wohlstand der Familien. Doch noch mehr fasziniert sie dieser Blick auf die Stadt. Wie hypnotisiert stellt sie die Kiepe ab und tritt an den Rand des Gartens, um auf die Stadt hinab zu blicken. Dieser Ort in Kombination mit den Worten Ennos verwirren sie tatsächlich. Und doch, kann sie nicht anders, als die Aussicht zu bewundern. Sollte die Gräfin vorhaben sich ihrer zu entledigen, war dieser Ort auf jeden Fall eine gute Wahl. Einen Sturz würde sie kaum überleben.   Während dieser Gedanke noch in ihrem Kopf nachhängt, verbeugt sie sich zur Begrüßung vor der gleichaltrigen Gräfin. Ailis nur unwesentlich kleiner als die Gräfin. Die aschblonden Haare trägt sie offen. Gekleidet ist sie wie viele einfache Leute in einen ärmellosen Kittel und darunter eine Wollhose. Und so stehen sie sich einen Augenblick gegenüber, bevor sie sich setzen. Zwei Frauen, deren Lebensweg und Realität nicht unterschiedlicher sein könnten und die doch durch Bande, die weit in der Vergangenheit geschmiedet wurden, miteinander verbunden sind. Es war Zeit, diese Verbindung zu stärken.   “Ich bin gekommen, um meine Loyalität, und die meiner Familie, gegenüber dem Haus Coveani zu bekräftigen. Und in diesem Zusammenhang habe ich ein Geschenk für Euch.” Sie erhebt sich wieder, um zu ihrer Kiepe zu gehen und dieser eine Vase zu entnehmen.   Die Vase ist etwa eine Elle hoch. Sie besitzt einen kugelrunden Bauch von etwa einem Drittel ihrer Größe, der in einen Hals übergeht, der sich wie ein Blütenkelch nach oben hin öffnet. Der Hals besitzt gleichmäßige Rillen und die ganze Keramik zeigt sich in einem graugrünen Farbton.   Ailis präsentiert die Vase in ihren Händen liegend, so dass die Gräfin sie nehmen kann, wenn sie möchte. Sie besitzt große, schlanke Hände mit feingliedrigen Fingern. Ihre Fingernägel wurden sorgfältig gekürzt und für diesen Anlass sicherlich besonders ordentlich gebürstet, so dass sie frei von Tonresten sind. Doch die ständige Arbeit mit Wasser hat ihre Haut rau und an einigen Stellen rissig gemacht. Sie bildet einen harten Kontrast zu der glatten Oberfläche der Vase, deren Glasur halb durchscheinend ist und im Zusammenspiel mit der Scherbe darunter im Licht hier im Garten grün wie Jade erscheinen lässt.   “Diese Vase ist eine von genau zwei Stück aus meiner Werkstatt. Vor einiger Zeit trat Majstro Vellez an mich heran und fragte ob ich eine Keramik fertigen könne, die er Seladon nannte. Er beschrieb sie mir und mit Unterstützung meiner Großmutter gelang es mir herauszustellen, was er sich vorstellte. Und auch wenn ich gerne weiter verfolgt hätte, wohin mich die Ideen des Herrn Vellez führen würden, lehnte ich seinen Vorschlag, diese Keramiken für den Fernhandel zu fertigen, ab. Es wäre mir wie Verrat vorgekommen.”
Fri, Mar 1st 2024 12:58   Edited on Fri, Mar 1st 2024 11:36

Die Gräfin nimmt die Vase vorsichtig aus Ailis Händen. Sie hebt sie nah an ihr Gesicht und studiert sorgfältig die Glasur. Sie wirkt dabei weniger überrascht, als vielmehr überaus zufrieden. Wie jemand, der eine lange überfällige Nachricht erhalten hat und nun sehr zufrieden mit ihrem Inhalt ist.   "Wunderschön," meint sie nach einer Weile. "Es muss schwer gewesen sein, in eurem Ofen die nötige Temperatur zu erreichen?", fragt sie und verrät damit eine gewisse Kennerschaft der Materie." Habt ihr euch schon an Krakelee versucht?" Sie stellt die Vase vorsichtig auf ihren Schreibtisch und wendet sich dann wieder Ailis zu.   "Gregorian war sich sehr sicher, dass ihr letztendlich doch zu mir kommen und eure Loyalität unter Beweis stellen würdet." Sie trinkt einen Schluck Wasser, dann schlägt sie eine Mappe auf, die Enno auf ihrem Schreibtisch hatte liegen lassen. "Das hier", sie hält ein bedrucktes Schriftstück hoch und Ailis erkennt geschwungene Buchstaben und den Greif, das Wappentier der Coveani "ist eure offizielle Meisterurkunde. Ich weiß, dass ihr noch keine Möglichkeit hattet, die Prüfung tatsächlich selbst abzulegen, aber hiermit" sie deutet auf die Vase, "ist eure Meisterschaft hinlänglich bewiesen. Es wird pro forma noch eine mündliche Prüfung geben müssen, aber das sollte kein Problem sein."   Sie mustert Ailis und grinst mit diebischer Freude und erklärt: "Ihr seid sozusagen Opfer eines Komplotts geworden, Majstro Casteres. Als Gregorian an mich herantrat und vorschlug, Seladon-Keramik zu produzieren und über den Fernhandel zu verkaufen, brauchte ich jemanden, mit dessen Hilfe ich die Produktion in Gang bringen konnte. Und er sollte jung sein. Wie ihr wisst, besteht das Kollegium nur aus alten Männern. Hervorragende Handwerker die allesamt ihre Verdienste haben, aber alle schon gut über fünfzig. Ich möchte frischen Wind in die Töpferzunft bringen und daher bin ich auf euch verfallen. Ihr seid jung und der Name Casteres hat immer noch einen guten Klang, auch wenn ihr in letzter Zeit wirklich kein Glück hattet. Dass Gregorian statt meiner an euch herangetreten ist, war eine List, für die ich mich entschuldige. Aber ich suchte jemanden, der nicht nur das nötige Geschick und den Ehrgeiz hat, etwas wirklich Großes auf die Beine zu stellen, sondern auch loyal ist."   Die Gräfin verstummt kurz und mustert Ailis wieder mit ihrem durchdringenden Blick. Der frisch gebackenen Meisterin wird klar, dass der Okula wahrscheinlich schon seit Wochen jeden ihrer Schritte überwacht haben muss.
Fri, Mar 1st 2024 01:37

Für einen sehr kurzen Moment kann die Gräfin Überraschung im Gesicht der Töpferin sehen. Dann sind die fein geschnittenen Gesichtszüge wieder verschlossen und neutral, so wie man es von Einwohnern Pelorns gewohnt ist. Wer dem Falschen zu viel Preis gibt, hat oft schon verloren.   Ailis’ Blick verweilt auf dem Stück Papier, das für beinahe jeden wertlos ist, abgesehen von den alten Männern der Zunft, die es lesen können. Sie selbst erkennt die Striche, die den Namen ihrer Familie formen und sie weiß um diese Urkunden. Seit dem zweiten Häuserkrieg haben diese Formalien allerdings zunehmend an Bedeutung verloren. Sie betrachtet das Schriftstück länger als nötig, vielleicht vor Unglauben, doch dann sieht sie auf die Vase und schließlich in das Antlitz der Gräfin. Dass sie so lange zögert, etwas zu erwidern, gibt Aufschluss darüber, dass ihr sehr viele Dinge durch den Kopf gehen.   “Habe ich etwas getan, dass den Eindruck erweckt hat, ich sei dem Haus Coveani gegenüber nicht mehr loyal?" fragt sie statt all der anderen Dinge, die sie hätte sagen können. Ihre Familie hatte buchstäblich für das Haus Coveani Leben gelassen. Sie zahlte ihre Steuern an ihren Luanto und für verkaufte Keramik, wenn sie nicht ohnehin an Coveani für den Fernhandel verkaufte. Die einzige Abweichung war der Auftrag für Majstor Vellez gewesen und dieser war eine Prüfung gewesen. Ailis atmet bewusst ein und wieder aus, so wie jemand, der versucht, sich selbst zur Ruhe zu bringen.
Die Gräfin schüttelt lächelnd den Kopf. "Nein, ganz und gar nicht." Sie betrachtet Ailis nachdenklich. "Ihr habt recht, ich möchte bei euch entschuldigen. Heutzutage sind Verrat und Gefahr so allgegenwärtig, dass es mitunter schwer fällt, Ehrlichkeit und Loyalität einfach anzuerkennen." Sie legt die Meisterurkunde zurück auf den Tisch. "Ich verstehe auch, dass euch die Urkunde offenbar nicht viel bedeutet, denn ihr hattet bislang nicht viel Zeit, über die Politik der Töpferzunft nachzudenken. Aber die Meisterurkunde wird euch einige Türen öffnen. Ein neuer Lehrling muss zum Beispiel erst von der Zunft anerkannt werden und das wird nun viel leichter gelingen. Ihr könnt eure Waren nun mit einem Meistersiegel versehen und damit höhere Preise erzielen. Oder ihr könnt auf dem Wochenmarkt auf dem Stand der Töpferzunft eure Waren verkaufen. Aber vor allem habt ihr das Recht, die Öfen in der Meisterschule zu verwenden, um weiter mit Seladon zu experimentieren. Sie erreichen höhere Temperaturen und werden euch die Arbeit sehr erleichtern. Im Zuge dessen habe ich auch einen Spezialauftrag für euch, der euch hoffentlich interessiert und eure Schade nicht sein wird."
Sun, Mar 3rd 2024 09:43

“Verrat und Gefahr.”, sinniert Ailis und wiederholt damit die Worte Alessandrinas. Dann lacht sie freudlos auf. “Ich muss mich entschuldigen, Gräfin. Dieses Gespräch verläuft in keine Richtung, die ich jemals auch nur hätte erraten können, als ich beschlossen hatte, Euch aufzusuchen.”, gibt sie zu.   “Um Eure vorherige Frage zu beantworten. Einer meiner beiden Öfen ist dafür gebaut, einfacher eine höhere Temperatur zu erreichen, so dass es uns möglich ist Salzkeramik in einer ausreichenden Menge und Schnelligkeit zu produzieren. Die Temperaturen sind ähnlich, wie für Seladon. Schwieriger war es, die nötigen Mineralien zu erstehen, um die Glasur zu fertigen. Ohne den guten Leumund meiner Großmutter wäre mir dies nicht gelungen. Herauszufinden, wie wir ein befriedigendes Ergebnis bei Seladon erzielen, hat Zeit gekostet, die wir eigentlich produktiver hätten einsetzen sollen. Entsprechend war es mir, vernünftiger Weise, nicht möglich, mich an weiteren Techniken zu probieren.”   Nach einem Augenblick fährt die Töpferin weniger verschlossen fort. “Ich würde viel darum geben, Zeit, Gelegenheit und das nötige Material zu haben, um meine Techniken weiter zu perfektionieren und mein Wissen auszubauen. Allerdings ist mein Spielraum für derlei Dinge ist seit gestern weiter geschrumpft, weil die ‘Mitarbeiter’ meines Luanto es für sinnvoll hielten, meinen Lehrjungen zu verprügeln. Davon abgesehen, wäre es mir eine Ehre in Eurem Auftrag zu arbeiten." Sobald sie den Gedanken zugelassen hat, lässt die Aussicht darauf, ihre Werkstatt vielleicht irgendwann doch wieder so betreiben zu können, wie vor dem zweiten Häuserkrieg, sie von innen heraus strahlen. Das ist es, wofür die Töpferin brennt. Etwas neues wagen, ohne den loyalen Weg verlassen zu müssen.
"Macht euch um die Materialien keine Sorgen, ich kann euch besorgen, was ihr braucht. Und euer Verdienstausfall muss euch auch nicht mehr besorgen. Mein Auftrag wird euch einiges an Kunstfertigkeit abverlangen und ich kann schlecht verlangen, dass ihr umsonst arbeitet. Für die Dauer eurer Experimente erhaltet ihr ein festes Gehalt, im Gegenzug bekomme ich ein Vorkaufsrecht für eure künftigen Arbeiten." Die Gräfin klopft nachdenklich auf die Tischplatte, während Ailis ihre Sorgen beichtet.   "Bedauerlicherweise kommen solche Dinge vor. Vermutet ihr, dass es der Luanto - Halvar, nicht wahr? - selbst war, der die Prügel veranlasst hat? Immerhin habt ihr mit ihm doch ein spezielles Arrangement?" Das letzte Wort rollt ihr fast schon genüsslich über die Lippen und sie lächelt hintersinnig.
Sun, Mar 3rd 2024 01:56

Die meiste Zeit ist Ailis recht gut darin ihren Gesichtsausdruck und ihre Körpersprache unter Kontrolle zu halten. Etwas anderes sind körperliche Reaktionen. Als die Gräfin ihr Arrangement mit Halvar anspricht, wird sie eine Nuance blasser. Es ist also keine Scham, die sie deswegen empfindet, vielleicht eher Überraschung, dass Alessandrina davon weiß.   “Ich glaube nicht, dass es auf Halvars Befehl hin geschehen ist.” erwidert sie nachdenklich. “Auch wenn er seinem Anspruch durchaus Nachdruck verleiht, wenn es sein muss. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich gehe davon aus, dass es Halvars rechte Hand Fiete war. So wie er sich in den letzten Wochen verhalten hat, will er vermutlich Halvars Platz einnehmen und glaubt, dass damit auch alle Abmachungen an ihn übergehen. Halvar war nie so dumm jemanden vom arbeiten abzuhalten. Wer nicht arbeitet, kann keine Steuern zahlen."
Die Gräfin nickt nachdenklich. "Dann werden wir uns diesen Fiete etwas näher ansehen müssen. Dennoch wirft es auch auf Halvar kein gutes Licht, wenn er seine Männer offenbar nicht unter Kontrolle hat." Der durchdringende Blick der Gräfin wandert über Ailis, aber was immer ihr dabei durch den Kopf geht, behält sie für sich. "Ich schicke einen Heiler zu eurem Lehrjungen, er soll sich ihn ansehen." Enno kommt die Treppe hoch und nickt seiner Herrin zu. "Ich fürchte, ich muss unsere Besprechung abkürzen, ein Termin jagt den nächsten." Sie zieht wieder ihr Wams an und schließt ihre Hemdknöpfe. "Bei meinem Auftrag handelt es sich um ein spezielles Motiv. Ihr solltet die alte Coveani-Residenz besuchen, ihr findet dort eine Darstellung davon als Plastik im Innenhof. Aber geht tagsüber, nachts ist es dort nicht sicher." Sie fasst ihre Haare wieder in einem Pferdeschwanz zusammen. "Oh... Und vielleicht würdet ihr es hilfreich finden, mit einem Mann namens Auris zu sprechen. Er ist Maler und kann euch vielleicht das ein oder andere über Kalligraphie, Perspektive und Technik beibringen, auch wenn er sich soweit ich weiß nicht mit Glasuren beschäftigt. Er ist ein Säufer, Schwadroneur und Lüstling und vermutlich der beste Maler Pelorns. Maurizio setzt euch ein Empfehlungsschreiben auf. Wenn Auris euch überredet, für ihn Modell zu sitzen, verlangt wenigsten 20 Filis pro Sitzung." Sie wirft Ailis einen kaum misszuverstehenden Blick zu. "Sagt ihm, ich würde ihm einen guten Preis machen!" Sie lächelt und verschwindet die Treppe hinab in den Turm. Enno bleibt zurück und verbeugt sich kurz in Ailis Richtung "Wenn ihr mir bitte folgen wollt?"
Fri, Mar 8th 2024 07:19

Ailis’ Nicken geht in eine respektvolle Verbeugung über. “Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit und Euer Vertrauen. Ich freue mich schon darauf die Details Eures Spezialauftrags zu besprechen, wenn mehr Zeit ist. Bis dahin werde ich mich darauf konzentrieren, meine Fähigkeiten weiter auszubauen. Ich werde Euch nicht enttäuschen.”, entgegnet sie und klingt dabei ehrlich und nicht nur pflichtbewusst.   “Eine Glasur in der Hand eines Töpfers ist auch nicht viel anders, als flüssige Farbe für einen Maler, nehme ich an. Es wäre eine große Erleichterung, wenn wir ein Empfehlungsschreiben möglicher Weisedazu verhilft, etwas zu lernen, das über die üblichen Muster der Salzkeramiken hinaus geht.”   Aufmerksam verfolgt Ailis, wie Alessandrina sich noch während des Gesprächs wieder zurecht macht. “Vielen Dank, Gräfin, dass Ihr etwas Eurer wertvollen Zeit für mich erübrigen konntet.” fügt sie noch rasch hinzu, bevor die andere Frau verschwindet. Die Aussicht, dass die Gräfin für ein Gemälde mit ihrem Abbild viel Geld bezahlen würde, hatte sie mehr als nur überrascht.   Die Überraschung hält noch einen Augenblick an, bis Enno sie anspricht und sie schließlich nickt. Nachdem sie ihre Sachen zusammengepackt hat, folgt sie dem Diener wieder nach unten. Die nächsten Tage waren plötzlich voller unvorhersehbarer Termine, während noch immer noch Rohkeramik darauf wartet gebrannt und Lieferungen angenommen werden müssen. Aber irgendwie würde Sie einen Besuch bei der Zunft, der alten Residenz, dem Maler und dem Fischer schon unter kriegen.