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Thu, Mar 9th 2023 04:52   Edited on Wed, Nov 8th 2023 10:02

Kurzes Zwischenspiel

Man sagt, Ausstrahlung sei alles. Und so ist es wohl auch bei Lua Aetaya, als sie nun das ominöse Gebäude östlich des Olifern verlässt. So euphorisch überquert sie die Melenische Brücke, so selbstsicher sieht sie aus, dass es wohl niemandem in den Sinn gekommen wäre, sie irgendwie zu belästigen. Schließlich ist es auch bei den an den Brücken lungernden Gestalten so, dass sie bei jedem einzelnen Angriff einiges riskieren, besonders dann, wenn sie doch wider Erwarten ein gewichtiges Mitglied irgendeines Hauses kassieren. Und so tänzelt Lua mehr zum Arsenal, als sie denn geht. Freilich ist es reichlich spät, und die Aussicht, noch einen Auftrag abzustauben, reichlich gering. Es ist ihr heute egal. Sie haben öfters einen Abend gehungert, und die Aussicht nach einem besseren Leben hat die Fähigkeit, einen hungernden Magen scheinbar zu füllen. Sie stellt sich in die Reihe der letzten verzweifelten Gestalten. Doch wie sieht sie aus, inmitten dieser heruntergekommenen Leute? Nichts ist da von irgendeinem mitleidsheuchelndem Getue, nein, sie steht gerade, strahlt Würde und Zuversicht aus, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. So wirkt sie schöner denn je, und so mancher, der noch nach einem Arbeiter sucht, bleibt vor ihr stehen, lächelt sie an, bevor er dann doch weiter geht. Bis schließlich ein Jüngling auf sie aufmerksam wird. Kaum hat er die Reihe der Armseligen beachtet, nein, er kommt ziemlich zielgerichtet auf Lua zu, bleibt vor ihr stehen. Er mustert sie, doch nicht in jener offensichtlichen, lüsternen Art in der schöne Frauen von Luas Rang üblicherweise gemustert werden. Es sind verstohlene Blicke über ihren Körper, immer wieder zu den Augen zurückkehrend. Lua schaut ihm in die Augen, immerfort mit ihrem leichten Lächeln auf den Lippen. Schließlich bleibt auch sein Blick in dem ihrigen stehen.   "5 Filis," sagt er unvermittelt.   Lua lacht. "5 Filis für was?" fragt sie dann mit fröhlichem Unterton.   Der Jüngling, wohl 14 oder 15 Jahre alt, mit kurzgeschnittenem, dunklen Haar, das Gesicht reichlich Akne-verseucht, tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen, kaum schafft er es, Luas Blick entgegenzuhalten.   "Ich habe etwas von meinem Zimmer in den Keller zu tragen," sagt er dann verlegen, mit reichlich gedehnten Vokalen. Dann wird er plötzlich rot im Gesicht und fügt äußerst schnell gesprochen hinzu: "Und ich hätte gerne einen Kuss."   Das Lächeln auf Luas Lippen wird breiter. Nichts ist da von unterwürfiger Dankbarkeit, vielmehr scheint sie dem Jüngling durch und durch überlegen zu sein. Aber vielleicht ist es ja gerade dieser Umstand, der sie für letzteren so begehrlich macht. "Abgemacht!"   Sie gehen also durch die Straßen des Thornhoff-Viertels, bis sie an einem stattlichen Haus halt machen. Ein Diener öffnet den beiden die Tür, sie gehen in eben dieses Zimmer, stattlich ausgestattet. Lua scheint die Pracht nicht zu bemerken. Auch sie wird bald bequem wohnen, freilich weit einfacher, aber was ist schon dieser Pomp für jemanden, der sich jeden Abend in den Schlaf friert? Es ist eine Statue, die sie zu transportieren hat. Eine Statue, die der Jüngling wohl gekauft hat, die bei seinen Eltern jedoch auf Widerspruch gestoßen sein wird. Es ist eine laszive Nackte, mit weit gespreizten Beinen. Zugegeben, sie ist unhandlich und auch reichlich schwer zu tragen. Aber Lua ist es gewohnt, ihre Kraft bis an die Grenzen auszureizen. Es ist bisher ihre einzige Möglichkeit gewesen, für ihre Geschwister zu sorgen. Das ist nun vorbei. Sie wird hart arbeiten, aber sie ist nicht mehr dem Wohlwollen absolut Unbekannter ausgeliefert. Dieses eine letzte Mal, dann wird das Arsenal nicht mehr ihr tägliches Ziel sein, ja wohl gar nicht sein dürfen. Sie schultert die Statue, schaut den Jüngling an.   "Wohin?" fragt sie mit leicht gepresster Stimme.   "In den Keller," wiederholt er, bleibt dann jedoch stehen, schaut auf den kleinen Spalt, der sich nun zwischen ihrer Hose und dem Hemd aufgemacht hat. Ein flacher Bauch, angespannte Muskeln. Sie sieht ihn weiterhin fragend an, er wird wieder rot im Gesicht. "Ich zeige es dir!"   Er geht nun vor, immer wieder dreht er sich um, Lua mit der Statue auf der Schulter musternd, und mehr als einmal fällt er beinahe die Stufen hinab. Lua keucht ganz schön unter der Last, die Haut beginnt alsbald wieder zu glänzen, doch ist es nun nicht mehr das Wasser des Olifern, das diesen Glanz verursacht, es ist einfach der Schweiß, den diese Anstrengung verursacht. Bald haben sie jedoch den Keller erreicht. Lua stellt die Statue in dem ihr angedeuteten Winkel ab. Sie reibt sich die Schulter, lässt sie kreisen. Der Jüngling schaut sie an, er schaut ihr in das Gesicht, schaut auf die sich deutlich hebende und senkende Brust. Der Spalt an ihrem Bauch ist verschwunden. Dann tritt er an sie heran. Er schaut ihr in die Augen. Plötzlich fasst er ihr an den Hintern, zieht sie zu sich heran. Er presst seine Lippen auf die ihrigen, schiebt ihr die Zunge in den Mund. Lua erwidert den Kuss halbherzig, es ist ein Geschäft, nichts mehr. Nie wieder wird sie darauf angewiesen sein, dass sich jemand an ihr aufgeilt. Wobei sie weiter eh selten gegangen ist. Nefri hat recht gehabt: wenn du einmal Hure bist, dann bleibst du es. Lua wollte diesen Weg nie gehen. Nun wird sie nie wieder darüber nachdenken müssen. Nun nicht mehr. Lua schließt den Mund, schiebt die Zunge des Jünglings aus dem ihrigen, schaut ihn an. Er schaut ihr in die Augen.   "5 Filis, wenn du..." versucht er neu zu verhandeln. Sie schüttelt den Kopf. Sie braucht nicht mehr. Sie hat das Abendessen verdient. Und das nächste Abendessen wird gestellt werden, nach einem Tag sauberer, ehrlicher Arbeit. Er schaut sie enttäuscht an, zählt dann jedoch 5 Filis aus seinem Säckel und gibt sie ihr. Sie drückt ihm noch einen Schmatz auf die Lippen, kurz, lächelt ihn kurz an, dann verlässt sie das Haus. Sie geht zurück in ihr Viertel, nordwestlich des Imeria-Haupthauses. Sie kauft Grütze. Sie nimmt das letzte Feuerholz, facht ein Feuer an. Nie wieder muss sie sich um Feuerholz kümmern. Nie wieder werden sie, zusammengekuschelt unter der modrigen Decke, frieren. Sie holt Wasser, beginnt, das Wasser zum Kochen zu bringen. Sie zerkleinert das Getreide in ihrem improvisierten Mörser, beginnt, die Spreu aus dem Mehl zu holen. Die drei Jungs kommen heim. Sie haben reichen Fang gemacht: 4 Ratten! Sie sind inzwischen wahre Meister in der Rattenjagd geworden - weit besser als Lua es jemals war. Sie fragt sich, wo sie denn all diese Ratten herkriegen. Sie haben es ihr nie verraten. Die Kleinen lösen sie bei ihrer Arbeit ab, sie nimmt das alte, rostige, schartige Messer und widmet sich den Ratten. Sie könnte auch ihr neues Messer nehmen, aber sie spart es auf. Es ist ihr ein Schatz, es ist ihr der Beweis, dass der heutige Tag wahr ist. Bald kochen die Ratten und die Grütze in dem Topf. Die zwei Schwestern kehren nach Hause. Sie sind enttäuscht, haben sie doch den ganzen Tag lang nur einen lausigen Fili zusammengekriegt. Es ist egal. Für heute reicht es, und morgen...   "Ich muss euch etwas sagen," beginnt Lua nun. Zehn Kinderaugen sehen sie fragend an. "Wir ziehen um!"   "Hat uns schon wieder jemand die Wohnung weggenommen?" fragt Laraya mit verzweifeltem Blick. "Warum lassen sie uns nicht in Ruhe?"   Lua schüttelt lächelnd den Kopf. "Wir ziehen um ein ein Haus ohne Löcher in den Wänden, ohne Löcher im Dach. Wir ziehen um in ein Haus, in dem niemand Wache halten muss, wir ziehen um in ein Haus, in dem wir sicher sind. Wir werden in einem Bett schlafen, einem richtigen Bett, weich und mit Decke. Wir werden etwas zu essen bekommen, jeden Tag, und manchmal werden wir sogar Fleisch essen. Echtes Fleisch, keine Ratten, kein Fleisch, aus dem man erst die Maden entfernen muss. Wir werden Brot haben, weiches Brot, ohne Schimmel. Und wir werden Milch trinken, echte Milch. Wir werden sauberes Wasser haben, Wasser, das nicht krank macht, auch wenn man es nicht abkocht. Und wir werden Geld für Kleider haben."   Sie schaut ihre Geschwister an, die ihren Blick mit übergroßen Augen erwidern. "Lu, das darfst du nicht tun, du darfst uns nicht damit foppen," antwortet nun Lonya. "Du darfst uns nicht Dinge erzählen, die dann eh nicht passieren. Ich weiß ja, dass du dir das so sehr wünschst, aber, du weißt auch, dass das eben nicht sein wird. Niemand gibt uns..."   Lua nickt. "Es ist die Wahrheit!" Und sie erzählt von diesem Morgen, als ihr der Becher an den Kopf gefallen ist, sie erzählt von Kuv, der sie in sein Lager genommen hat, sie erzählt von Nefri, sie erzählt alles, was sie heute erlebt hat. Und schließlich endet sie mit: "Wir haben es geschafft, Leute. Wir sind nun wohlhabende Leute. Nur eines, das müsst ihr mir versprechen: Wenn wir morgen da hin gehen, benehmt euch gut, tut, was euch gesagt wird, arbeitet, als ob es um euer Leben gehen würde. Seid dankbar, seid fleißig, seid brav. Beklagt euch nicht und jammert nicht. Dann werden sie uns nicht mehr wegschicken. Ich weiß, dass ihr das alles könnt."   Ihr Blick geht die Runde, bleibt dann an dem kleinen Arcus hängen. "Vielleicht darfst du sogar Lesen und Schreiben lernen."   Es geht von Arcus auf, der nun Lua anschaut, kurz, dann auf sie zustürzt und ihr weinend um den Hals fällt. Und wenig später liegen sich alle in den Armen, weinend, doch sind es Freudentränen, Tränen der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie essen die Grütze mit dem Rattenfleisch auf, auch wenn sie danach mehr als satt sind. Sie brauchen keinen Vorrat mehr für den folgenden Tag. Denn der folgende Tag, der sollte besser werden als alles, was die Sechs bisher erlebt haben.