Fri, Jun 27th 2025 10:16
Edited on Mon, Oct 27th 2025 10:17
Der Morgendunst hing noch schwer über dem Wasser, als Marcus mit festen Schritten den kleinen Steg entlangging. Neben ihm lief sein Sohn mit einer Eimerkette über der Schulter und Salz auf den Lippen – bereit für einen neuen Fang. Die Möwen kreisten gellend über ihnen, während das leise Schlagen der Wellen gegen den Rumpf des Bootes wie eine Erinnerung an frühere Tage klang, als Marcus noch für das Haus Thornhoff auf See war.
Kurze Zeit später glitt das Boot leise hinaus auf das glatte Wasser. Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch die Nebelschwaden, ließen das Meer wie geschmolzenes Silber schimmern. Marcus stand am Bug, prüfte Wind und Strömung, dann schleuderte er das Netz in weitem Bogen ins Wasser.
„Wenn wir Glück haben, füllen wir zwei Körbe, bevor die Ebbe kommt“, sagte er halblaut, mehr zu sich selbst als zu seinem Sohn. Der junge Mann grinste, blickte zu ihm auf – dann bebte die Welt.
Ein tiefes, grollendes Knurren durchfuhr die See, gefolgt von einem Ruck, der das Boot erzittern ließ. Marcus taumelte, griff instinktiv nach der Bordwand.
Ein Erdbeben.
Der Blick zum Land bestätigte es:
Die Erde bebte noch immer. Vom kleinen Dorf am Ufer stiegen Staubfahnen auf, und Marcus sah mit Entsetzen, wie zwei Holzhäuser wie Kartenhäuser in sich zusammenfielen. Menschen liefen, schrien, ein Hund bellte panisch.
„Zieh das Netz ein – sofort!“
Ohne Zögern packte er selbst mit an, zog mit kräftigen Rucken das halb gefüllte Netz zurück ins Boot. Die Fische zappelten, aber Marcus achtete nicht darauf.
„Vater, die Häuser…“, flüsterte sein Sohn.
„Ich sehe es. Halt dich fest.“
Mit geübtem Griff wendete Marcus das Boot, drehte hart in den Wind, während er das Segel aufspannte. Die Brise half – das Boot nahm Fahrt auf, peitschte über das Wasser, das noch immer leicht vibrierte.
„Wenn jemand verschüttet ist, brauchen sie jede Hand“, murmelte Marcus. In seinem Blick lag Entschlossenheit. Für einen Moment war da nichts von dem Mann zu sehen, der sich Rache geschworen hatte. Nur der alte Seemann, der helfen musste. Der Vater, der schützen wollte.