Die Dargha sieht den Heiler nun eine ganze Weile lang an. Und je länger sie ihn ansieht, desto mehr verschwindet dieser finstere, ablehnende Ausdruck aus ihrem Gesicht, er wird irgendwann gleichgültig, fast schon freundlich. Sie sagt abe die ganze Zeit nichts, zieht schließlich die Hose aus und wechselt sie mit einem ebenso alten, abgewetzten Beinkleid.
“Heiler,” unterbricht sie schließlich ihr Schweigen, “ich weiß, Ihr hasst mich abgrundtief. Sagt nicht, das stimme nicht, denn ich habe in all meinen Jahren als Jäger genug Menschenkenntnis, um das zu merken. Ich muss zugeben, ich hasse Euch auch, weil Ihr mir nicht den Respekt entgegenbringt, der einer Dargha gebührt. Wenn Ihr nicht schon lange am Balken schmort, dann ist das nur Eurer Berufung, Eurem Talent zu verschulden. Nun, Ihr hasst mich, und doch sorgt Ihr Euch um mich. Ich hoffe also, dass Ihr dasselbe Verhalten auch dem gegenüber an den Tag legen werdet, was ich Euch jetzt sage.”
Sie knöpft ihre Hose zu, setzt sich aufs Bett. Sie legt sich für einen Moment auf das Bett, langt zu ihrem Nachttischchen, nimmt davon einen Beutel, setzt sich wieder auf. Sie formt eine Zigarette, entzündet sie und beginnt zu rauchen.
“Ich wollte nie Dargha sein,” fährt sie dann fort, “und ich weiß nicht, warum ich Dargha wurde. Ich kenne dieses Viertel, ich weiß, dass die Leute hier leiden, weil mein Vorgänger sie bis auf das Blut ausgenutzt, ausgelaugt hat. Ich will nicht so eine Dargha sein. Ich will, dass es den Leuten besser geht, dass sie irgendwann sagen, sie seien glücklich unter der Herrschaft Imerias zu leben. Ich sage Euch, ich arbeite hart daran. Ich arbeite hart daran, um das schnell umzusetzen, denn ich weiß, dass diese Vorgehensweise den meisten Darghe komplett zuwider sein wird, weil sie auf sich selbst schauen, weil sie sich selbst bereichern wollen.”
Sie zieht an ihrer Zigarette, schaut den Heiler an.
“Ich muss schnell Resultate bringen,” fügt sie schließlich hinzu. “Ich bitte Euch, nein, ich befehle Euch, niemandem ein Sterbenswörtchen davon zu sagen, Gulama nicht, den Jägern nicht, und Mari schon gar nicht, aber die Tage einer Dargha, die sich wirklich um das einfache Volk kümmert, die sind nun einmal gezählt. Die Darghe der anderen Viertel werden mich mit Argwohn beobachten. Die Leute über mir werden im Glück der Leute eine Gefahr für das Haus sehen. Sie alle werden mein Scheitern erwarten, um mich zu beseitigen. Sie alle werden meinen Erfolg als Versuch darzulegen versuchen, mich als Verräterin hinzustellen.”
Wieder zieht sie an ihrer Zigarette.
“Heiler,” schließt sie schließlich, “ganz ehrlich, ich hoffe inständig, dass mir genügend Zeit bleibt, um in diesem Viertel merkbare Veränderungen herbeizuführen. Aber glaubt Ihr wirklich, dass ich in zwanzig Jahren noch am Leben bin? Glaubt Ihr wirklich, dass es einen Unterschied macht, wann ich wievel trinke? Sorgt Ihr Euch etwa um die Kettenhunde der Knochenhand, dass sie eine Alkoholvergiftung erleiden könnten, wenn sie mich irgendwann zerfleischen?”