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Sat, Oct 12th 2024 04:13   Edited on Sat, Jan 18th 2025 04:39

[Tag 18, Nachmittag] Der verschwundene Garten

Es ist kurz nach Mittag als Auris in das kleine Palais zurückkehrt. Er hat praktisch den ganzen Vormittag bei Reland verbracht und steigt, ohne auch nur einen Blick auf das angerichtete Essen zu werfen, hinauf in sein Atelier. Er hatte kaum geschlafen und das lange schwierige Gespräch hat ihn ausgelaugt. Doch er hat keine Zeit zu verlieren. Er entkorkt die Weinflasche, die noch immer neben dem Hocker steht und nimmt einen langen Zug daraus. Versonnen lächelt er, als er die Flasche absetzt. Er spürt die Wärme sich in ihm ausbreiten und für einen kleinen Moment sitzt er wieder in dem längst verschwundenen Garten in der Morgensonne und blickt in die Augen, die ihm einst das Leben waren. Nie hatte er es verwunden, in all den Gesichtern immer nach dem ihren gesucht. Vergebens! Und dann hat er ihr Licht gesehen, in anderen Augen, aus einem anderen Herz strömen, sanft und rein, wie der Widerschein der Morgensonne in einem stillen Weiher und in der Wüste seines Herzens war plötzlich die Blume erblüht, die schon längst verdorrt geglaubt. Es ist ein großes Geschenk und ein Zeichen, daß er voll Freude und Dankbarkeit willkommen heißt. Doch noch ist es nicht an der Zeit, noch leuchten die Farben in seinem Inneren, noch will die Hand den Pinsel führen, etwas schaffen, in dem seine lange Reise durch Licht, Farben und Formen ihrem Höhepunkt entgegenstrebt. So stellt er eine neue, bereits grundierte Leinwand auf eine Staffelei. Eine Skizze braucht er nicht mehr, denn er sieht den wehmütigen Blick zurück über die Schulter, der noch am Zurückgelassenen hängt und er sieht dieses Lächeln, froh und erwartungsvoll, das den ersten Schritt hinaus in den Garten ersehnt und hinausstürmen will in die Welt so deutlich als würde sie hier vor ihm im Raum stehen und dann beginnen die Farben zu tanzen.  
Mon, Oct 14th 2024 08:22   Edited on Mon, Oct 14th 2024 01:56

Lange malt Auris noch nicht, da hat Lua ihren langen und wissenschaftlich fundierten Entscheidungsweg bezüglich der Art des anzuziehenden Kleides abgeschlossen. Und so ist sie bereit für ihr Treffen mit Leif. Sie betritt nun also den Garten, nur um eben wieder nach oben in ihr Zimmer zu rennen, um den Schrieb des Meisters zu holen. Sie schaut dann doch noch einmal ins Atelier, in ihrem blauen Kleidchen mit den weißen Punkten, den hochgesteckten Haaren, dem freudig-aufgeregten Blick. Dort entdeckt sie schließlich auch den Meister, der eifrig an einem Bild malt, dabei immer wieder seinen Blick über einen imaginären Garten wandern lässt.. Ganz unbekümmert geht Lua zu Auris hin.   “So, Meister, ich bin jetzt bereit,” sagt sie und dreht sich um sich selbst, dass der weite untere Part des Kleides im Wind flattert. “Was sagt Ihr? Werden sie mich so in den Garten hineinlassen?”   Sie stellt sich nun neben ihn, und ihr Blick fällt auf die Leinwand. Wie gesagt, Auris hat gerade erst begonnen. Noch weit entfernt ist er, dass das Bild seine wahre Pracht enthüllen könnte, dass er damit das zeigen kann, was er zeigen will. Und doch beginnt Lua das Bild zu studieren, mit dem Garten hinter dem Bild zu vergleichen. Schließlich legt sie Auris eine Hand auf die Schulter, schaut noch eine kleine Weile. Dann sieht sie ihn an.   “Was würdet Ihr denn davon halten, wenn wir den Garten wieder so herrichten, wie Ihr ihn auf diesem Bild zu malen begonnen habt?”   Es ist keine Spur von Mitgefühl oder gar Mitleid in ihrem Blick. Es ist dieser freudige, klare, reine Blick, der ihr so eigen ist, und es hat allen Anschein, als könnte sie sich aus diesen ersten Pinselstrichen schon ungefähr den fertigen Garten vorstellen, als würde sie sich bereits jetzt an den Farben und Düften desselben erfreuen.
Wed, Oct 16th 2024 07:00

Es dauert ein wenig, bis Auris sich Lua zudreht. "Wie? Ach ja, der Garten! Sehr schön, meine Liebe! Sehr schön!": sagt er abwesend und sein Blick wandert bereits wieder zu dem Bild, an dem er arbeitet. Als ihm Lua die Hand auf die Schulter legt, wendet er sich ihr wieder zu und diesmal hat Lua den Eindruck, daß er nicht mehr völlig in seiner Welt aus Farben und Licht verweilt und sie wirklich wahrnimmt. Er lächelt traurig und in seinen Augen ist ein fiebriger Glanz, selbst seine Gesichtszüge wirken heute noch hagerer als sie es für gewöhnlich sind. "Es ist nicht der Garten im Hof, meine Liebe. Dieser Garten ist verschwunden und blüht nur mehr in meiner Erinnerung. Doch selbst wenn es ihn noch gäbe, seine Seele und sein Herz sind vor langer Zeit aus dieser Welt entschwunden. Der Sand der Zeit hat die Blüten und den Brunnen zugedeckt und wenn ich den Pinsel aus der Hand lege, dann wird nur mehr dieses Bild ein matter Abglanz seiner vergangenen Schönheit sein." Wehmütig sieht er Lua an. "So viel Schönes dahin und vergessen! Die Zeit, meine Liebe, ist eine unbarmherzige Würgerin." Er schluckt bevor er fortfährt: "Deshalb Lua lebe! Lebe jeden Augenblick als wäre es dein Letzter, leere den Kelch, den dir das Leben reicht bis zur Neige! Lebe aufrecht, sei dir treu und folge deinem Herzen." Für einen langen Augenblick sieht er Lua an. Melancholie, aber auch innerer Frieden spiegelt sich in seinem Gesicht, dann schüttelt er leicht den Kopf. "Da schwatze ich wieder wie ein alter Narr. Wenn du denn Garten im Hof wieder zum Leben erwecken willst, nur zu. Ich werde Ermond bitten dir zu helfen und Egor soll dir Geld geben, wenn du etwas brauchst. Das Kleid steht dir sehr gut!": sagt er und als er den Kopf zurück zu dem begonnenen Bild dreht, fällt Lua auf, daß die orangenen Farbschlieren immer noch in seinem Bart sichtbar sind.  
Wed, Oct 16th 2024 09:56

Lua sieht Auris an, und je länger er spricht, desto mehr verschwindet das Lächeln aus ihrem Gesicht und macht einen Ausdruck tiefster Traurigkeit Platz. Schließlich kommt er nicht dazu, sich wieder zu dem Bild zu drehen, denn kaum hat er geendet, wandert auch die zweite Hand zu seinen Schultern. Lua drückt Auris fest an sich, wohl 20 Sekunden lang. Dann lässt sie ihn wieder los. Sie sieht ihm tief in die Augen.   “Wisst Ihr, Meister,” beginnt sie dann leise zu sprechen, “als ich mich noch auf der Straße durchschlagen musste, da ist es mir einmal passiert, dass ein stinkender, betrunkener Mann seine Hände um meinen Hals gelegt hat und begonnen hat, mich zu würgen. Ich habe ihm ordentlich in die Eier getreten, da hat er die Hände zurückgezogen.”   Sie schaut den Meister nun wieder an, mit einem nun sehr zaghaften Lächeln auf den Lippen und unheimlich viel Wärme in ihrem Blick. Sie nimmt nun auch die zweite Hand, auch wenn der Pinsel dabei auf ihrem Unterarm einen kornblumenblauen Streifen hinterlässt.   “Ich muss den Garten nicht für mich herrichten,” fährt sie dann fort. “Ich bin glücklich hier, und daran ändert es nichts, ob der Busch in der linken hinteren Ecke verdorrt ist oder nicht. Aber wenn Ihr so schöne, so wichtige Erinnerungen mit diesem Garten verbindet, wäre es dann nicht schön, wenn wir den Garten wieder zu Leben erwecken, so dass er Euch daran erinnert, was damals war, und nicht daran, dass es jetzt nicht mehr so ist? Ist es nicht die Erinnerung an sich, die es wert ist, dass wir sie hegen und pflegen? Ganz ehrlich, Meister, hätte ich Bilder von meinen Geschwistern, ich würde sie in meinem Zimmer aufhängen, und ich würde sie jeden Morgen und jeden Abend küssen, und ich würde mich daran erinnern, wie wir am Feuer zusammen saßen und miteinander gegessen haben, und nicht daran, dass ich nun nicht mehr weiß, wie es ihnen geht. Denn daran erinnere ich mich soundso, jeden Morgen, jeden Abend.”  
Thu, Oct 17th 2024 05:37

Als sie seine Hände nimmt, schüttelt er den Kopf. "Nein, Lua.": sagt Auris. "Ich spreche nicht vom Garten dieses Palais. Ich lebe hier erst seit Karthes Salzbaron geworden ist. Der Garten hier hat schon so ausgesehen, als ich hier eingezogen bin. Jetzt glaube bitte nicht ich mache mir nichts aus Gärten, aber ich habe keine Zeit für Blumen pflanzen. Mit diesem Garten hier im Palais verbindet mich nichts. Wenn es dir Spaß macht, dann kümmere dich darum. Es ist sicher kein Nachteil, wenn es hier nicht aussieht wie in der verseuchten Zone." Dann scheint er wieder durch Lua durchzusehen. "Diesen anderen Garten, den gibt es nicht mehr. Nichts kann ihn mehr zurückbringen und mit der Erinnerung kommt Hand in Hand zusammen mit der Schönheit der Schmerz. Mit mir wird auch der Schmerz verlöschen und dann bleibt nur der Abglanz seiner einstigen Schönheit und das ist gut so, Lua. Ich würde ihn nicht neu pflanzen lassen um alles Silber der Stadt." Er entzieht ihr seine Hände, greift nach einem Lappen, der durchdringend nach Terpentin riecht und wischt Lua den Farbstreifen von der Hand. "Sieh dich vor, meine Liebe, du willst doch nicht bunt bekleckst zu deinem Stelldichein gehen." : sagt er schon wieder etwas abwesend, beginnt den Pinsel zu säubern, um ihn dann wieder in Farbe zu tauchen.      
Thu, Oct 17th 2024 04:46

“Verzeiht, Meister,” antwortet Lua, “aber lieber würde ich gefleckt wie eine Blumenwiese zu diesem Essen gehen, als Euch traurig zu sehen.”   Sie sieht ihn mit einem warmen Lächeln an. Man merkt jedoch, dass es hinter diesem Lächeln in ihrem Inneren rumort, dass sie wohl am Überlegen ist, ob sie etwas sagen soll oder aber besser schweigen soll. Aber das Schweigen ist Luas Sache nicht, und so bahnt sich die Frage doch den Weg zu ihrem Mund, zaghaft, leise: “Aber, Meister, was ist denn mit dem Garten passiert, den Ihr hier malen wollt? Und warum wollt Ihr ihn nicht wieder zum Leben erwecken?”   Sie ihn wieder an, nun jedoch ernst, mit großen Augen, ziemlich unsicher. Schließlich fügt sie noch hinzu: “Aber Ihr müsst nicht antworten, wenn Ihr es nicht wollt.”  
Mon, Oct 21st 2024 06:57

"Ich bin nicht traurig, meine Liebe.": sagt Auris. "Eher wehmütig. Wäre ich traurig, würde ich den Garten in Winter malen, denn es gibt kaum etwas Traurigeres als den Anblick eines blattlosen, erstarrten Garten." Sein Lächeln wird melancholisch und sein Blick entrückt, so als ob er in die Ferne sehen würde. "Es ist nichts Furchtbares in jenem verlorenen Garten geschehen, Lua. Der Garten war unschuldig wie ein frisch geborenes Lämmchen. Es ist so lange her, daß ich die Jahre gar nicht mehr zählen möchte. Damals...ich habe einige der schönsten Stunden meines Lebens in diesem Garten zugebracht, meine Liebe! Aber es ist der bitterste Hohn des Lebens, daß man sein Glück erst in seiner vollen Tragweite versteht, wenn es dahin ist und vorbei und welchen Sinn hätte es, den Garten bloß in der Form ohne Seele und Herz wieder zu erschaffen? Der Garten ist für mich zum Symbol all dessen geworden, was ich in meinem Leben verloren habe und ich habe mich eine Ewigkeit gescheut, ihn auch nur in meiner Imagination noch einmal zu betreten. Aber jetzt ist es an der Zeit, ihn mit Farbe und Pinsel noch einmal aus den Nebeln der Vergangenheit zu locken! Es muß getan werden und vielleicht...." Dann unterbricht er sich. "Aber was rede ich hier daher! Plappere wie ein alter Narr sentimentalen Unsinn! Zeit wieder an die Arbeit zu gehen, denn wer weiß welcher Schwachsinn mir sonst noch entschlüpft."  
Mon, Oct 21st 2024 07:49

Lua sieht dem Meister tief in die Augen. Es ist ein zutraulicher, ja fast liebevoller Blick. Begierig saugt sie jedes seiner Worte auf, fast hat man schon den Eindruck, als würde sie im nächsten Moment den Alten umarmen. Schon setzt sie zu einer Erwiderung an, doch da dreht sich Auris auch schon weg, widmet sich diesem Bild, das gerade am Entstehen ist. Lua kann sich noch gut erinnern, wie er damals vom Frühstückstisch geflüchtet ist, wie sie durch irgendeine unbedarfte Aussage den lieben Alten komplett aus der Fassung gebracht hat. Sie weiß zwar immer noch nicht, was sie damals gesagt hat. Sie weiß nur, dass sie die einzige der damals Anwesenden ist, die es nicht weiß. Aber sie will nicht noch weiter in ihn dringen. Sie will ihn nicht erneut aus der Fassung bringen.   “Meister, ich freue mich schon darauf, das fertige Bild dieses prächtigen Gartens zu sehen, ganz ehrlich,” entgegnet sie also leise. “Aber ich werde Euch jetzt wieder alleine lassen. Ich will Leif nicht zu lange auf mich warten lassen. Am Ende wird er sonst noch böse auf mich.”   Einen kleinen Augenblick steht sie nun noch da, dann verlässt sie mit einem fröhlichen “Auf Wiedersehen!” das Atelier und macht sich auf den Weg zu ihrem Treffen mit ihrem anderen Helfer in der Not.
Wed, Nov 13th 2024 01:42   Edited on Wed, Nov 13th 2024 03:58

Manchmal ist es ihm, als säße er wieder wie vor über fünfzig Jahren in dem Garten, den er aus dem Gedächtnis malt, doch dann wird der Schmerz in seinem linken Arm, der die Palette hält, wieder so heftig, daß er in seinem Atelier im Lichtkreis der Lampe sitzt, die ihm die Leinwand beleuchtet. Auris beißt die Zähne zusammen und blinzelt ein paar Mal. Seit zwei Tagen arbeitet er praktisch ohne Unterlaß, nur unterbrochen von seinem Besuch bei Reland und von zwei, drei Stunden Schlafes auf der Bank im Salon. Seine Augen brennen, in seinem linken Arm hämmert Schmerz und immer wieder verkrampfen sich die Finger, die den Pinsel halten. Er legt die Palette auf den kleinen Tisch neben ihm und tastet nach der Weinflasche.   Durstig leert er den Rest des vorzüglichen Weines. Für einen langen Moment betrachtet er sein Werk, daß bis auf den linken Rand und die untere Ecke fertig ist, dann nickt er. Nach so langer Zeit ist er doch über seinen Schatten gesprungen. Sehnsucht und Wehmut brennen in ihm, doch da ist auch Zufriedenheit. Er hat etwas geschaffen, daß der Mühe wert war und ihn lange überdauern wird. Das Licht des Sommernachmittags auf ihrem Haar, das Leuchten der Blüten, der Faltenwurf ihres weißen Kleides, ihre unnachahmliche Haltung und ihre Schönheit, mit seinem Herzblut waren sie seinem Pinsel entströmt. Obwohl das drängende Nagen, das Werk zu vollenden, nicht verstummen will, hebt er die Hand mit dem Pinsel nicht. Er kann sich nicht losreißen vom Anblick und plötzlich ist ihm, als würde er es heller um ihn und dann erfüllt der Duft von Blüten die Luft und das Gesumme der Insekten mit dem Plätschern des kleinen Brunnens, Sommersonne wärmt sein Gesicht und Aurelian sitzt auf der kleinen Steinbank, wie immer, wenn er auf sie wartet und dann hört er ihre Stimme.