Eirvyn Mucareth

Eirvyn Mucareth

Niemand weiß, wer Eirvyn Mucareth wirklich war. Auch er selbst nicht. Alles, was von seinem früheren Leben geblieben ist, sind flüchtige Schatten und das vage Gefühl, dass er einmal jemand war, der geliebt, geglaubt und gehofft hatte. Vielleicht war er ein einfacher Mensch mit einem Platz in einem einfachen Dorf. Vielleicht ein Wissender. Vielleicht nur ein junger Druide, der nie dazu kam, alt zu werden.

Eines Tages war alles fort.

Als die Monster kamen – keine Tiere, keine Menschen, sondern etwas anderes, Verdorbenes – zerbrach seine Welt. Die Kreaturen verschonten niemanden. Doch sie ließen etwas zurück: Pilze. Nicht die bekannten Fruchtkörper des Waldes, sondern etwas Tiefgreifenderes, durchdringend, flüsternd – ein fremdartiges Myzelgeflecht, das in den Boden, in das Fleisch, in die Erinnerung wuchs.

Eirvyn überlebte. Nicht, weil er stärker war oder schneller lief. Sondern weil er nicht dort war, als es geschah. Er kehrte zurück und fand nur Leichen, Rauch und eine Stille, die selbst die Krähen mied. Und inmitten dieser Leere war da ein Flüstern. Kein Wort, kein Klang – sondern ein Gefühl. Eine Ahnung.

Um zu verstehen, was geschehen war, musste er sich hingeben. Er grub sich ein. Legte sich in das Erdreich. Ließ das Myzel in sich hinein. Es war keine Magie, wie sie Gelehrte erklären würden. Es war keine Verzweiflung. Es war ein Opfer. Ein stiller, einsamer Schwur, dass er bereit war, sein Selbst aufzugeben, wenn es ihm nur den Hauch einer Antwort gab.

Das Myzel nahm ihn an.

Sein Körper starb – oder verfiel zumindest. Doch er verging nicht. Was zurückblieb, war ein wandelnder Pakt zwischen Leben und Verfall. Nicht als Warlock, nicht als Knecht eines Patrons. Sondern als ein Knotenpunkt in einem Geflecht, das älter war als Sprache. Ein Bewahrer. Ein Splitter, durch den das Netzwerk aus Tod und Erinnerung sprachen konnte. Eirvyn wurde zum Medium für das Leid der Welt.

Die Pilze, die ihn durchziehen, wuchern nicht wie Blätter oder Krusten – sie sind kein Parasit. Sie sind eine Stimme. In seinen Momenten tiefster Verbindung – wenn er sich dem Boden hingibt, sich in Ekstase zersetzt und neu zusammensetzt – spürt er die Welt. Die Stimmen der Pilze sind keine Sprache. Sie sind Signale, Impulse, Gerüche, Bilder. Aus ihnen formt Eirvyn Bedeutungen. Fragen. Manchmal Antworten. Immer Schmerz.

Denn diese Erneuerung ist nie sanft. Wenn er zerfällt, wenn der Verfall durch seinen Leib kriecht, ist es, als würde er an seinem eigenen Grab lauschen. Und doch – nach dem Schmerz kommt Frieden. Ein Moment von Klarheit. Ein Stück Einsicht.

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Eirvyn ist äußerlich ein Mensch, vielleicht um die vierzig Jahre alt – aber Zeit hat für ihn ihre Bedeutung verloren. An manchen Tagen wirkt er jung, fast makellos; an anderen von innen heraus zerfressen. Seine Haut ist unregelmäßig – an manchen Stellen glatt und lebendig, an anderen von dunklen, schimmelartigen Sporenfeldern überzogen, die sich über Brust, Schultern, Oberarme und Nacken ziehen. Sein Haar ist lang, stumpf, verfilzt, aber fast wie ein lebendiger Schleier aus wurzelhaftem Geäst – als wären die Pilze dort eingezogen, ohne ihr ursprüngliches Muster zu zerstören.

Die, die ihm begegnen, sehen sich oft nicht sicher: Ist er schön oder abstoßend? Lebendig oder untot? Verletzlich oder gefährlich? Seine Aura schwankt zwischen morbider Anziehung und tiefer, tröstlicher Präsenz – als würde man mit einem Sturm sprechen, der weiß, wie Stille sich anfühlt.

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Eirvyn streift durch die Wälder, durch Ruinen, durch tote Landstriche. Nicht, weil er flieht – sondern weil er sucht. Was genau, weiß er nicht. Aber in jedem Ort, in jedem Kadaver, in jedem Moosstreifen hofft er, einen Hinweis zu finden. Ein Fragment. Einen Sinn.

Manchmal, wenn er über Leichen meditiert – seien es seine einstigen Mitmenschen oder ihre Mörder – empfängt er Splitter von Erinnerungen. Es sind keine klaren Bilder, sondern Fetzen: Stimmen, Schreie, Gerüche, Gefühle. Immer dieselben, mit kaum merklichen Variationen. Als wäre er dazu verdammt, denselben Augenblick immer wieder zu durchleben – den Moment seiner Hingabe, seines Untergangs, seines Beginns. Es ist sein Fluch – aber auch seine Quelle.

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Er schläft nicht. Stattdessen gibt es Phasen, in denen sein Körper in sich zusammenfällt, langsam zerfließt und der Erde Teil für Teil überlässt. In diesen Momenten verschmilzt er mit dem Netz – und aus dem Netz wächst er neu. Es ist ein Kreislauf aus Verfall und Erkenntnis, aus Qual und Klarheit. Von außen wirkt es grausam, wie ein Ritual aus Schmerz und Ekstase. Doch Eirvyn kennt keinen anderen Weg, um zu fühlen. Ohne diesen Rhythmus wäre er nur eine Hülle.

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Trotz allem ist Eirvyn kein düsterer Einsiedler. In den Phasen zwischen den Zersetzungen lebt er mit offenen Augen. Er liebt Tiere, studiert Pflanzen, beobachtet Menschen mit ehrlicher Neugier. Er kann lachen, kann schweigen, kann teilen. In Gesprächen ist er ruhig, aber nicht abweisend. Er wirkt weise – nicht, weil er belehren will, sondern weil er zugehört hat. Sehr lange. Sehr tief.

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Wenn er sich einer Gruppe anschließt, dann nicht aus Schwäche oder Zweckmäßigkeit. Sondern weil er tief in sich glaubt, dass das Artefakt – oder das, was es hervorbringt – Antworten geben kann. Vielleicht nicht auf alles. Aber auf genug.

Eirvyn hat sein Leben gegeben, um die andere Seite zu begreifen. Er hat das Böse in sich aufgenommen, um es zu durchleuchten – nicht, um es zu nutzen. Und wenn sein Verfall einst vollständig sein sollte, wenn seine letzte Zersetzung kommt – dann soll sie nicht vergeblich gewesen sein. Vielleicht ist das seine Hoffnung. Vielleicht sein Wahnsinn.

Vielleicht ist es beides.

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