Ísvengr
Der Schmelzdrache von Frostglen
In den tiefen Wäldern und gefrorenen Ebenen von Frostglen, verborgen unter gewaltigen Eismassen, ruht ein Wesen, das in der Mythologie Frostvirs als Beschützer, aber auch als Mysterium verehrt wird. Sein Name ist Ísvengr, der Schmelzdrache – eine Kreatur, deren Existenz mit dem Zyklus der Jahreszeiten verwoben ist und deren Präsenz von den Bewohnern sowohl gefürchtet als auch verehrt wird.
Der Ewige Wächter von Frostglen
Ísvengr ist nicht nur eine Kreatur, sondern eine Verkörperung des Lebensnetzes, das sich durch Frostvir zieht. Er ist weder ein bösartiges Ungeheuer noch ein geflügelter Tyrann, sondern eine Kraft, die das natürliche Gleichgewicht bewahrt. Tief im Winter verschmilzt er mit dem Gletscher selbst, seine Form wird eins mit dem gefrorenen Massiv, und für Monate gibt es keine Spur von seiner Existenz außer der kalten, unberührten Landschaft.
Doch mit dem ersten Tau des Frühlings erwacht Ísvengr langsam. Das Eis beginnt zu knacken, feine Risse ziehen sich durch die Oberfläche, und bald erhebt sich sein schimmernder Körper aus der gefrorenen Erde. Sein Erwachen ist keine Zerstörung – es ist ein Übergang, ein Teil der zyklischen Natur von Frostvir.
Ein Körper aus Eis und Bewegung
Ísvengr ist nicht mit gewöhnlichen Drachen zu vergleichen. Sein Körper gleicht einem lebendigen Gletscher – kristalline Schuppen, die das Licht reflektieren wie gefrorenes Wasser, und eine mächtige, geformte Gestalt, die mit der Umgebung verschmelzen kann. Während des Winters bleibt er nahezu unbeweglich, sein Körper löst sich in das Eis auf, bis er schließlich wieder Gestalt annimmt.
Seine Flügel sind nicht bloße Zierde, sondern werden aktiv genutzt – sie sind breit und stark, geschaffen für ausgedehnte Flüge über die gefrorenen Landschaften und das Meer. Wenn er sich vom Gletscher löst, erhebt er sich in die Luft, seine Flügel treiben ihn hoch über die Gipfel von Frostvir, wo er die Welt von oben überblickt.
Die Bewahrung der Vergangenheit
Die Legenden der Menschen erzählen, dass Ísvengr die Überreste einer alten Kultur bewacht. Tief unter dem Eis liegen Ruinen einer vergangenen Zivilisation, einstige Städte oder Tempel, die nie wieder das Licht der Sonne sehen werden – außer in den Momenten, in denen der Drache erwacht und die Oberfläche des Gletschers bricht.
Er selbst weiß um die Geschichte dieser Kultur, doch er teilt sie nicht in Worten. Seine Form der Kommunikation ist telepathisch, doch nicht in Sprache, sondern in Bildern, Empfindungen und Emotionen. Wenige Auserwählte – jene, die ihn verehren – glauben, dass seine Visionen Fragmente dieser vergessenen Zeit enthalten.
Das Kalte Feuer
Ísvengr besitzt eine Fähigkeit, die ihn von allen anderen Drachen unterscheidet: Er speit kaltes Feuer. Diese Flammen sind nicht heiß, sondern von klirrender, blauer Kälte durchzogen. Wer von ihnen getroffen wird, erfährt keine klassische Verbrennung, sondern eine Eisverbrennung, die die Haut aufbricht, als wäre sie unter jahrhundertelangem Frost zersplittert.
Sein Feuer bewegt sich langsam, beinahe lautlos, und hinterlässt keine Asche – stattdessen bleibt eine gefrorene, fragile Schicht zurück, die jede betroffene Oberfläche überzieht. Besonders auf dem Meer entfaltet sein blaues Feuer eine tödliche Wirkung: Es kann das Wasser kurzzeitig erstarren lassen oder große Meeresbewohner mit einer lähmenden Welle aus Kälte überwältigen.
Die Jagd und das Gleichgewicht
Ísvengr jagt nicht wahllos – seine Beute dient dazu, das natürliche Gleichgewicht von Frostvir zu bewahren. Wenn eine Population zu stark wächst, reguliert er sie mit gezielten Angriffen. Er ist besonders aktiv im Frühjahr und Sommer, wenn er große Tiere jagt, doch niemals grundlos.
Auf dem Meer ist sein Anblick ein glückliches Omen für die Seeleute. Viele glauben, dass er ihre Schiffe beschützt, indem er die wilden Strömungen beruhigt und gefährliche Raubtiere fernhält. Einige Kapitäne führen kleine Zeremonien durch, wenn er am Horizont erscheint, und widmen ihm Gebete der Dankbarkeit. Für viele ist er kein Monster, sondern ein Schutzbringer.
Die Verehrer von Ísvengr – Der Kult von Skaldhuld
Nicht jeder versteht Ísvengr oder erkennt seine wahre Natur. Viele fürchten ihn als eine unergründliche Macht, die ohne Vorwarnung erscheint und wieder verschwindet. Doch eine Gruppe von Auserwählten glaubt, dass seine Existenz mehr ist als eine bloße Naturkraft.
Diese Gemeinschaft ist als „Skaldhuld“ bekannt – „die Worte des Eises“. Sie sehen in den Visionen des Schmelzdrachen die verlorene Geschichte Frostglen und versuchen, die Bilder zu entschlüsseln. Sie studieren die Schmelzzyklen des Gletschers, beobachten seine Bewegungen und versuchen, Muster zu erkennen, die Hinweise auf die vergessene Kultur geben.
Für sie ist Ísvengr mehr als ein Wesen – er ist ein Hüter der Vergangenheit, der letzte Bewahrer einer Welt, die nie wieder vollständig sichtbar sein wird.
Ein Missverstandenes Wesen
Ísvengr ist keine aggressive Kreatur. Er verteidigt, er bewacht, er erhält – doch er greift niemals aus Zorn oder Gier an. Sein Gerechtigkeitssinn ist groß, weit über das Verständnis der Menschen hinaus, und oft wird er deshalb missverstanden.
Einige halten ihn für einen rücksichtslosen Rächer, andere für einen düsteren Vorboten der Winterstürme. Nur wenige erkennen seine wahre Natur und verstehen, dass er nicht urteilt wie ein Mensch, sondern nach einem höheren Prinzip handelt – dem Gleichgewicht der Welt selbst.