Rolle der Tjoste in Fehburg
Die Tjoste von Fehburg – Ein Ritus der Erneuerung und Eintracht
Die Tjoste ist ein außergewöhnliches, beinahe mythisches Ritual, das im Protektorat Fehburg stattfindet, wenn die gewohnte Nachfolgeregelung für den Obersten Protektor an ihre Grenzen stößt. Fehburg, bekannt für seine unbesiegbare Festung und seine Elitekrieger, wählt den Obersten Protektor in der Regel durch die zehn Seneschalls – die höchsten Generäle des Reiches. Können diese sich nach dem Tod eines Protektors nicht mit einer Zweidrittelmehrheit auf einen Nachfolger einigen, greift das Reich auf eine uralte, tief in der Kultur verankerte Praxis zurück: die Tjoste.
Entstehungsgeschichte – Eine Antwort auf innere Zerreißproben
Fehburg ist ein Reich der Disziplin und der Ehre, doch auch hier können sich Konflikte anstauen. Schon vor Jahrhunderten kam es einmal zu einer so schweren Blockade unter den Seneschalls, dass das Reich Gefahr lief, in rivalisierende Lager zu zerfallen. In dieser Krisenstunde ersannen weise Veteranen und erfahrene Krieger einen ungewöhnlichen Brauch: Statt in endlosen Debatten zu verharren, sollte das Volk selbst zeigen, wessen Taten das Erbe des verstorbenen Protektors würdig fortführen konnten.
Daraus entstand die Tjoste: eine sechsmonatige Periode der Bewährung und Suche nach Heldentum, in der die Gemeinschaft einen würdigen Nachfolger kürt. Dieses Konzept wurde nicht leichtfertig angenommen; es war ein Wagnis, aber eines, das sich bewährte. Seither ist die Tjoste zu einem heiligen Ritus geworden, auf den Fehburg nur in extremen Fällen zurückgreift.
Der Ablauf der Tjoste – Prüfung der Tapferkeit und Umsicht
Anders als es Legenden manchmal übertreiben, verlässt nicht jede waffenfähige Seele Fehburg während der Tjoste. Fehburg ist ein militärisches Protektorat und kann es sich nicht leisten, seine Mauern unbewacht zu lassen. Eine starke Garnison und ein erlesener Kreis an Verteidigern – von den Seneschalls ausgewählt – bleiben immer zurück, um die Festung und das Reich vor äußeren Einflüssen, Spionen oder Überfällen zu sichern. Auch Regierungsbeamte, logistische Fachleute und wichtige Handwerker bleiben vor Ort, damit der Lebensnerv Fehburgs nicht erlahmt.
Doch ein beachtlicher Teil der kriegerischen Bevölkerung, insbesondere jene, die Ambitionen, Mut oder Neugier verspüren, tritt zur Tjoste an. Die Teilnahme ist nicht zwingend, doch wer sich daran beteiligt, hat die Chance, über seine individuellen Taten das Schicksal des Reiches zu formen. Die Tjoste dauert exakt sechs Monate. In dieser Zeit erhalten die Teilnehmer die Erlaubnis, Fehburg zu verlassen und in die Welt hinauszuziehen, um dort Gefahren zu meistern, Rätsel zu lösen, Monster zu bekämpfen, Bündnisse zu schließen oder auf andere Weise ihre Ehre unter Beweis zu stellen.
Wesentliche Aspekte der Tjoste:
- Freiwilligkeit und Auslese: Nur jene, die vom Reich als zuverlässig, kampftauglich und ehrenhaft angesehen werden, dürfen auf Tjost gehen. Damit wird verhindert, dass unerfahrene Abenteurer Fehburg sinnlos schwächen oder sich selbst in tödliche Gefahr begeben.
- Kontingente bleiben zurück: Ein Teil der Elitekrieger, Späher und Strategen verbleibt in der Festung. Sie gewährleisten Sicherheit und verteidigen das Reich gegen mögliche Angriffe von außen. So bleibt Fehburg während der Tjoste niemals schutzlos.
- Die sechsmonatige Suche: Die Teilnehmer reisen in kleine Gruppen oder allein, erkunden ferne Länder, unternehmen gefährliche Expeditionen, lösen diplomatische Missionen oder stellen sich legendären Kreaturen. Wichtig ist, dass sie Beweise für ihre Erfolge sammeln: Trophäen, Zeugenaussagen fremder Herrscher, Kartenskizzen oder magische Artefakte.
Rückkehr und Bewertung – Ein Spiegel der Gemeinschaft
Nach Ablauf der sechs Monate kehren die Tjostenden nach Fehburg zurück. Nun beginnt die eigentliche Zeremonie: Über mehrere Tage hinweg präsentieren sie dem Volk, den Seneschalls und den Weisen des Reiches ihre Taten. Jedes Detail wird geprüft, jede Heldengeschichte hinterfragt. Wahrheit, Mut, Nützlichkeit für das Reich und moralische Integrität sind die Maßstäbe, an denen die Leistungen gemessen werden.
Am Ende dieser Vorträge und Beweisführungen stimmt das gesamte Volk – auch jene, die nicht an der Tjoste teilgenommen haben – über die würdigste Person ab. Erreicht ein Kandidat oder eine Kandidatin mindestens eine Zweidrittelmehrheit, wird er oder sie zum Obersten Protektor ernannt. Damit bestätigt das Volk: Dieser Krieger oder diese Kriegerin verkörpert am besten die Ideale Fehburgs.
Legendäre Tjoste
In der langen Geschichte Fehburgs gelten jene Momente, in denen einstimmige Wahlen zustande kamen, als gottgesandte Wunder. Nur zwei Mal stimmte das gesamte Volk – ohne eine einzige abweichende Stimme – für einen Protektor. In diesen seltenen Fällen wurden die Auserwählten zu mehr als nur Herrschern: Man verehrt sie seitdem als Halbgötter auf Erden. Ihre Taten waren nicht bloß heldenhaft, sie sprengten die Grenzen des Vorstellbaren, prägten das Reich für Äonen und setzten neue Maßstäbe für Mut, Weisheit und Hingabe.
Die Erste Legendäre Tjoste (vor etwa 600 Jahren)
Als die erste legendäre Tjoste ausgerufen wurde, war Fehburg innerlich zerrissen. Die Seneschalls hatten sich derart zerstritten, dass das Volk befürchtete, die einst uneinnehmbare Festung könne von innen her erodieren. Also ging man zur Tjoste über, und dutzende tapfere Krieger, Anführer, Meisterstrategen und Kundschafter zogen in die Welt hinaus. Nach sechs Monaten kehrten sie mit Geschichten zurück, die an Wundern grenzten. Doch einer ragte heraus wie ein Berg über einer Ebene: Gryfar Donnerwolf.
Gryfar war kein junger Hitzkopf, sondern ein erfahrener Veteran, der bereits unter drei Protektoren gedient hatte. Er verließ Fehburg an einem sturmumtosten Tag, so sagt man, ohne Gefolgschaft, nur mit seiner Lanze, seinem Schwert und einer alten Wolfspelz-Rüstung. In den folgenden Monaten soll er:
- Die Mondschreiterin bezwungen: Auf dem Kristallsee von Varun, dem man nachsagt, er reflektiere die Seele seines Reisenden, soll Gryfar einer mächtigen Kreatur begegnet sein: der Mondschreiterin, einer Halbgöttin der Einsamkeit und des Wahnsinns. Ihr Lied hätte jeden Sterblichen in den Wahnsinn getrieben. Doch Gryfar trotzte ihrem Gesang, erhob seine Stimme in einem alten Schlachtruf Fehburgs und zwang die Mondschreiterin in die Knie. Anstatt sie zu töten, überzeugte er sie, ihren schützenden Segen über Fehburgs Mauern zu legen. Seitdem sollen Geister und Schattenwesen nachts vor den Festungsmauern wachen.
- Eine Armee der Verdammten gewendet: Am Rand einer versunkenen Stadt vor Fehburg, in einer Senke voller Knochen und fauliger Nebel, stand Gryfar einer Armee Untoter gegenüber, die dort seit Ewigkeiten schlummerte. Durch geschickte Verhandlung und Opferung eines Teils seines eigenen Blutes an die zürnenden Ahnengeister konnte er diese ruhelose Horde besänftigen und auf einen Pfad des ewigen Schlafes zurückführen, anstatt sie auf Fehburg loszulassen.
Als Gryfar nach Hause kam, trug er Trophäen, Siegel, Runentafeln und Augenzeugenberichte bei sich. Die Menge lauschte atemlos. Keine einzige Stimme erhob sich gegen ihn. Die Abstimmung war einstimmig. Man sagt, in dem Moment, als sein Name aus tausenden Kehlen ertönte, überzog ein leuchtender Donnerbogen den Himmel über Fehburg. Gryfar Donnerwolf wurde Oberster Protektor, doch sein Name wird seitdem in Gebeten angerufen, als wäre er selbst ein Halbgott. Unter seiner Führung erlebte Fehburg eine goldene Ära, in der kein Feind es wagte, die Festung herauszufordern.
Die Zweite Legendäre Tjoste (vor etwa 240 Jahren)
Einige Jahrhunderte später, wieder Uneinigkeit unter den Seneschalls, wieder drohender Stillstand. Die Tjoste wurde ein weiteres Mal ausgerufen. Erneut verließ eine Schar wagemutiger Krieger das Reich, um ein halbes Jahr später mit Prüfungen zurückzukehren, die das Vorstellbare sprengten. Doch diesmal überstrahlte eine Kriegerin alle anderen: Myrana Flammenschild.
Myrana war bekannt für ihre furchtlose Art, aber niemand ahnte, dass sie in der kurzen Tjost-Zeit einen Weg finden würde, Fehburgs Schicksal an magische Urmächte zu knüpfen. Was sie erlebte, klang wie ein Götterepos:
- In der Glutkönigsgruft: Sie drang in einen legendären Vulkan ein, in dessen Innern die Gruft des Glutkönigs – eines uralten, feuergeborenen Titanen – verborgen war. Man sagte, noch nie habe ein Sterblicher diese Gruft betreten und sei lebend herausgekommen. Myrana bezwang die Lavawesen, sprach die Runen des Urfeuers nach und erlangte die Gunst des glühenden Kernes. Sie brachte eine Phiole lebendiger Magmalava mit, die noch heute als unerschöpfliche Wärmequelle im tiefsten Winter Fehburgs Hallen erwärmt.
- Die Rückkehr der Flüsterklinge: Noch bevor sie heimkehrte, soll Myrana in den Tiefen einer alten Unterwasserruine eine verlorene Klinge gefunden haben, die einst vom ersten Protektor Fehburgs geführt wurde. Diese Flüsterklinge war ein Symbol der Einheit und des Muts, verschollen durch die Jahrtausende. Es glang ihr, die Klinge zu bergen und das Schwert wieder in die Festung zu bringen.
Als Myrana Flammenschild nach Fehburg zurückkehrte, füllte sich der große Hof mit staunenden Bürgern. Sie präsentierte die Phiole des lebendigen Feuers und die Flüsterklinge, deren Klingenfläche man sagt, im Mondlicht Ahnenlieder singt. Die Menge war vor Ehrfurcht gelähmt. Die Abstimmung zur Wahl des Protektors verlief ohne auch nur eine einzige Gegenstimme. Die Legende berichtet, in eben diesem Augenblick seien die Fresken in Fehburgs Hallen neu erblüht, als hätten Geisterhände die Farben aufgefrischt.
Die Rolle der Tjoste in Fehburgs Kultur
Die Tjoste ist mehr als nur ein politischer Ausweg. Sie ist eine Übung in Demut und Offenheit. Das Volk erkennt in ihr, dass selbst die besten Generäle nicht immer wissen, was richtig ist. Statt endloser Fehden wird die Verantwortung auf die gesamte Gemeinschaft verteilt. Durch die begrenzte Beteiligung – nicht alle ziehen aus, viele bleiben, um den Heimathort zu schützen – stellt Fehburg sicher, dass es auch in Zeiten der Tjoste niemals wehrlos ist.
Die Tjoste gibt den Fehburgern das Gefühl, ihre Zukunft aktiv mitzugestalten. Sie erinnert daran, dass Ehre und Mut nicht allein in der Schlacht gegen äußere Feinde bestehen, sondern auch darin, in einer inneren Krise die richtige Entscheidung zu treffen. Die seltenen Ereignisse, in denen einstimmige Wahlen zustande kommen, stehen wie Leuchttürme in der Geschichte – sie lehren, dass in dunklen Stunden ein wahrhaft erhabener Charakter das Licht der Einheit entzünden kann.
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