17.Z1: Jerôme findet einen Anhänger
General Summary
(Geschrieben von Marius)
Nachdenklich dreht Jerôme das metallene Hexagramm der Sechs in seinen Fingern. Es ist angenehm dunkel im Mausoleum, und von draußen dringen nur die Geräusche des Windes und der gelegentlichen Ruf einer Krähe hinein. Von Asche, der vorherigen Eigentümerin des Anhängers in seinen Händen, trennen ihn nur einige längst unwichtig gewordene Meinungsverschiedenheiten, die kalte Steinplatte vor ihm, und der Tod.
Er atmet tief aus. „Dein Schicksal erscheint mir sonderbar unklar.“ Er spricht leise und langsam, als würde er jedes Wort abwägen. „Du bist zwar nicht durch meine Hand gestorben, aber im weitesten Sinne war ich beteiligt. Heißt das, du solltest sterben?
Andererseits ist mir auch eine Option zu deiner Erweckung in die Hände gefallen. Es drängt sich der Schluss auf, dass du erneut leben sollst… Doch es war Diebstahl. Durwell hatte zwar keinen Tausch mehr verdient, aber ist das eine Rechtfertigung?
So oder so, solange Ludmilla nicht aufgehalten wird, hätte deine Erweckung keinen Sinn. Ich habe das Gefühl, dass das Schicksal sich bedeckt hält, mir eine Entscheidung aufnötigen will. Aber darf ich mich dabei von persönlichen Empfindungen leiten lassen?“
Mit einem spitzen Fingernagel zieht Jerôme die in die Platte eingravierten Formen nach.
„Wegen des Wiederaufbaus in Trümmerfeld denke ich oft an den Tag, an dem wir von Malleons Tor bis ganz nach oben nach Hoffnungsspitz geklettert sind und die unfertigen Tempel im Abendrot betrachtet haben. Du hattest wieder diesen Glanz in deinem Auge, als du mir deine Vorstellungen ausgebreitet hast, wie du den Distrikt mit einem Tempel der Sechs krönen würdest. Auf dem Weg zurück nach unten hatten wir einen unserer besten Streits.“
Jerômes Fingernagel hält inne, als er auf dem Stein eine Gravur der gleichen Form erreicht, die er in der anderen Hand hält. „Ich war seither nicht mehr dort.“
Wenige Stunden später steht das Hexblut auf einem Strebebogen der Kathedrale von Dol Arrah in Oberdura. Er ist sich nicht sicher, was er sich von seinem Ausflug verspricht, aber allein die Anstrengung des Weges hat seinen Kopf bereits etwas geklärt. Die frischere Luft tut ebenfalls gut. Jerôme setzt seinen Weg zwischen den verschiedenen Gotteshäusern in Hoffnungsspitz fort. Mehr aus Gewohnheit achtet er darauf, sich unbemerkt zu bewegen. Der Distrikt hat sich für Sharner Verhältnisse nur wenig verändert, trotzdem braucht er einige Zeit, um den Ort von damals wiederzufinden. Ihren „Tempel“.
Es war ein Akt der Rebellion gewesen, oder vielleicht eine Art Versprechen. All die Prachtbauten mit ihren repräsentativen Fassaden hatten abgeschiedene Innenhöfe entstehen lassen, für die selbst eine so raumhungrige Stadt wie diese keine offizielle Verwendung gefunden hatte. Sie hatten damals einen solchen stillen Hof gefunden und bemerkt, dass in den umgebenden Wänden genau sechs Türen zu zählen waren. Es war die Art ernsthafter Übermut gewesen, bei der man weiß, dass man sich an sie später entweder voller Stolz oder verschämt erinnern wird, die sie dazu veranlasst hatte, hier einfache Versionen der Riten zu vollziehen, die einen Tempel der Sechs weihen sollen.
Wahrscheinlich hat seither niemand mehr den Platz mit der gleichen Intention betreten. Jerôme weiß nicht, ob Asche überhaupt jemandem davon erzählt hat. Halb erwartet er vielmehr, dass jemand in der Zwischenzeit die damals vorgenommenen Veränderungen bemerkt und entrüstet entfernt hat. Vielleicht wurden auch endlose salbungsvolle Worte gesprochen, um die Göttliche Heerschar oder sonst eine höhere Macht zu ersuchen, den Makel ungeschehen zu machen, den Asche und er damals in diesen sonst so makellosen Distrikt gebracht hatten. Er irrt sich.
In der Mitte des Platzes ist er noch immer, der Pflasterstein, den sie damals gemeinsam graviert hatten: Jerôme mit dem Kreis seiner Abtei und Asche mit einem winzigen Hexagramm der Sechs, darin eingefasst. Einige Momente hält er inne, dann tritt er an eine Lücke zwischen den Häusern, die einst von einem Aufzug für Baumaterial eingenommen wurde. Er setzt sich an die Kante, und während seine Augen über die Stadt unter ihm gleiten, lässt er seine Gedanken ziellos wandern. Allmählich werden die Schatten länger und die Kühle des Frühlingsabends lässt ihn frösteln. Schließlich erhebt er sich und tritt noch einmal an die Gravur im Boden. Der Schatten darin wirkt seltsam plastisch. Jerôme beugt sich vor und im gleichen Moment streckt sein Schatten seine Hand aus. Mit spitzen Fingern ergreift der Schatten das kreisrunde Dunkel und steckt sich den Reif aus Schatten an den rechten Zeigefinger. Erstaunt blickt Jerôme zu seiner eigenen Hand, an der nun ebenfalls ein Ring prangt. Es ist ein einfaches Design aus dunklem Metall, das einen milchigen roten Stein in stilisierten Zähnen einfasst. Aufmunternd nickt ihm der Schatten zu. Jerôme senkt den Kopf und berührt die Gravur am Boden.
„Danke“, murmelt er. Dann richtet er sich auf. Ohne sich noch einmal umzusehen, kehrt er an den Platz zurück, wo er zuvor gesessen hat, tritt über die Kante und lässt sich von der anbrechenden Nacht verschlucken.
Er atmet tief aus. „Dein Schicksal erscheint mir sonderbar unklar.“ Er spricht leise und langsam, als würde er jedes Wort abwägen. „Du bist zwar nicht durch meine Hand gestorben, aber im weitesten Sinne war ich beteiligt. Heißt das, du solltest sterben?
Andererseits ist mir auch eine Option zu deiner Erweckung in die Hände gefallen. Es drängt sich der Schluss auf, dass du erneut leben sollst… Doch es war Diebstahl. Durwell hatte zwar keinen Tausch mehr verdient, aber ist das eine Rechtfertigung?
So oder so, solange Ludmilla nicht aufgehalten wird, hätte deine Erweckung keinen Sinn. Ich habe das Gefühl, dass das Schicksal sich bedeckt hält, mir eine Entscheidung aufnötigen will. Aber darf ich mich dabei von persönlichen Empfindungen leiten lassen?“
Mit einem spitzen Fingernagel zieht Jerôme die in die Platte eingravierten Formen nach.
„Wegen des Wiederaufbaus in Trümmerfeld denke ich oft an den Tag, an dem wir von Malleons Tor bis ganz nach oben nach Hoffnungsspitz geklettert sind und die unfertigen Tempel im Abendrot betrachtet haben. Du hattest wieder diesen Glanz in deinem Auge, als du mir deine Vorstellungen ausgebreitet hast, wie du den Distrikt mit einem Tempel der Sechs krönen würdest. Auf dem Weg zurück nach unten hatten wir einen unserer besten Streits.“
Jerômes Fingernagel hält inne, als er auf dem Stein eine Gravur der gleichen Form erreicht, die er in der anderen Hand hält. „Ich war seither nicht mehr dort.“
Wenige Stunden später steht das Hexblut auf einem Strebebogen der Kathedrale von Dol Arrah in Oberdura. Er ist sich nicht sicher, was er sich von seinem Ausflug verspricht, aber allein die Anstrengung des Weges hat seinen Kopf bereits etwas geklärt. Die frischere Luft tut ebenfalls gut. Jerôme setzt seinen Weg zwischen den verschiedenen Gotteshäusern in Hoffnungsspitz fort. Mehr aus Gewohnheit achtet er darauf, sich unbemerkt zu bewegen. Der Distrikt hat sich für Sharner Verhältnisse nur wenig verändert, trotzdem braucht er einige Zeit, um den Ort von damals wiederzufinden. Ihren „Tempel“.
Es war ein Akt der Rebellion gewesen, oder vielleicht eine Art Versprechen. All die Prachtbauten mit ihren repräsentativen Fassaden hatten abgeschiedene Innenhöfe entstehen lassen, für die selbst eine so raumhungrige Stadt wie diese keine offizielle Verwendung gefunden hatte. Sie hatten damals einen solchen stillen Hof gefunden und bemerkt, dass in den umgebenden Wänden genau sechs Türen zu zählen waren. Es war die Art ernsthafter Übermut gewesen, bei der man weiß, dass man sich an sie später entweder voller Stolz oder verschämt erinnern wird, die sie dazu veranlasst hatte, hier einfache Versionen der Riten zu vollziehen, die einen Tempel der Sechs weihen sollen.
Wahrscheinlich hat seither niemand mehr den Platz mit der gleichen Intention betreten. Jerôme weiß nicht, ob Asche überhaupt jemandem davon erzählt hat. Halb erwartet er vielmehr, dass jemand in der Zwischenzeit die damals vorgenommenen Veränderungen bemerkt und entrüstet entfernt hat. Vielleicht wurden auch endlose salbungsvolle Worte gesprochen, um die Göttliche Heerschar oder sonst eine höhere Macht zu ersuchen, den Makel ungeschehen zu machen, den Asche und er damals in diesen sonst so makellosen Distrikt gebracht hatten. Er irrt sich.
In der Mitte des Platzes ist er noch immer, der Pflasterstein, den sie damals gemeinsam graviert hatten: Jerôme mit dem Kreis seiner Abtei und Asche mit einem winzigen Hexagramm der Sechs, darin eingefasst. Einige Momente hält er inne, dann tritt er an eine Lücke zwischen den Häusern, die einst von einem Aufzug für Baumaterial eingenommen wurde. Er setzt sich an die Kante, und während seine Augen über die Stadt unter ihm gleiten, lässt er seine Gedanken ziellos wandern. Allmählich werden die Schatten länger und die Kühle des Frühlingsabends lässt ihn frösteln. Schließlich erhebt er sich und tritt noch einmal an die Gravur im Boden. Der Schatten darin wirkt seltsam plastisch. Jerôme beugt sich vor und im gleichen Moment streckt sein Schatten seine Hand aus. Mit spitzen Fingern ergreift der Schatten das kreisrunde Dunkel und steckt sich den Reif aus Schatten an den rechten Zeigefinger. Erstaunt blickt Jerôme zu seiner eigenen Hand, an der nun ebenfalls ein Ring prangt. Es ist ein einfaches Design aus dunklem Metall, das einen milchigen roten Stein in stilisierten Zähnen einfasst. Aufmunternd nickt ihm der Schatten zu. Jerôme senkt den Kopf und berührt die Gravur am Boden.
„Danke“, murmelt er. Dann richtet er sich auf. Ohne sich noch einmal umzusehen, kehrt er an den Platz zurück, wo er zuvor gesessen hat, tritt über die Kante und lässt sich von der anbrechenden Nacht verschlucken.
Datum des Berichts
21 Mar 2025
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