Lichtbögen der Ivrâ ad Êsca
Seraphin stand auf einem Feld inmitten von silbrig glänzenden Büschen und starrte in den orangenen Himmel über ihr. Sie breitete ihre Arme aus und bewegte sich im Kreis, um die Kraft des wundersamen Phänomens in sich aufzusaugen. Wärme durchströmte sie, als sich der Bücherdrache auf ihre Schulter setzte und Seraphin aus ihrem Tanztraum holte. "Junge Dame, wie müssen hier so schnell wie möglich verschwinden!", schimpfte der Drache mit dem jungen Mädchen.
"Aber Wendelin es ist so schön hier. Lass es uns doch bitte noch ein wenig genießen.", bettelte sie.
"Wenn wir nicht sofort gehen, werden wir in Windeseile von Frostkobolden belagert, die uns für Diebe halten."
"Diebe?", fragte Seraphin, doch es war bereits zu spät. Frostkobolde krochen aus ihren Verstecken und hielten Speere auf die umzingelten Eindringlinge.- Auszug aus dem Roman -
Im Gegensatz zu normalen Polarlichtern, die natürlich auch in den nördlichen oder südlichen Breitengraden an den Polen von Elaqitan beobachtet werden können, sind die Lichtbögen der Ivrâ ad Êsca eine Besonderheit, die nur im Norden von Brictealgis auftreten.
Sie sind ein wiederkehrendes Phänomen während des brictaelgischen Sommers, wenn Mond und Sonne die Konstellation der "Tränen der Gestirne" durchlaufen. Reisende würden sie für einfarbige Regenbögen halten, doch es sind kreisförmige Polarlichter, die sich wie pulsierende Wellen bis zum Ende der Atmosphäre über den sommerlichen Nachthimmel ausbreiten und ihn in ein magisches Orange verwandeln.
Tränen der Gestirne
Die Lichtbögen haben für die Kobolde zweierlei Bedeutung. Zum einen sehen sie in den Bögen die Offenbarung eines göttlichen Schleiers, der ihnen beweist, dass die Heimat der Götter existiert.
Zum anderen glauben sie, dass der Mondgott Tâmid die Sonnengöttin "Mirta" geheiratet hat und während ihrer Hochzeitsnacht, die Götter der Sterne und die Morgen- und Abendröte geboren wurden. Doch trotz ihrer Heirat können beide nur selten zusammen sein und so weinten einige Sterne und es entstand aus ihren Tränen ein Kreis glitzernder Fragmente am Firmament, der von den Kobolden "Tränen der Gestirne" genannt wurden.
Während des brictaelgischen Sommers, wenn der Mondgott und die Sonnengöttin diesen Kreis durchlaufen, hoffen die Kobolde, dass sie den Tag zur Nacht werden lassen und sich endlich wieder vereinen. Doch geschieht dies nur etwa alle 235 Jahre. In den anderen Jahren kommen sich beide nur näher, wie ein Liebespaar, dass durch eine unsichtbare Mauer voneinander getrennt ist. Deshalb sehen die Kobolde in den Lichtbögen auch ein Zeichen der Liebe zueinander und gleichzeitiger Trauer über die fehlende Vereinigung der beiden Götter. Um jedoch den Kobolden für ihre Hoffnungen und Gebete zu danken, hinterlassen ihnen die beiden Götter ein großzügiges und wertvolles Geschenk.
Geschenk der Götter
Nur im Norden von Brictaelgis wächst eine Strauchart, die nur blüht, wenn die Lichtbögen etwa zwei Monate am Himmel zu sehen sind - der Eisperlenstrauch. Eisperlen sind nicht essbar, aber gelten bei den Kobolden als sehr kostbar, weshalb die Frostkobolde der Eisriesen sie nach dem Ende der Erscheinung einlesen und als wichtiges Exportgut verkaufen. Die Einnahmen sind überlebensnotwendig, um wichtige Lebensmittel für die straffen Winter in den Höhlen der Eisriesen zu importieren.
Eisperlensträucher sind etwa einen Meter hohe Büsche mit silbrigweißen Blättern, die nur austreiben und blühen, wenn die Lichtbögen den Himmel in ein strahlendes Orange tauchen, was über mehrere Stunden und Tage anhält. Ohne dieses Licht sehen die Sträucher wie kleine kahle Trauerweiden aus. Doch mit den ersten Lichtstrahlen beginnen die Zweige in den Himmel zu streben und es wachsen die ersten Knospen kleiner herzförmiger silbriger Blätter. Nach etwa zwei Wochen sind die Blätter groß genug, um mit dem Licht der Ivrâ ad Êsca Photosynthese zu betreiben. Es erscheinen nun kleine zarte anemonenähnlichen Blüten, die von Azurkäfern bestäubt werden. Bis zum Ende des Phänomens wachsen aus den bestäubten Blüten die begehrten Eisperlen, die mit dem Abflauen des Lichts zu Boden sinken und sich vom Strauch lösen, der sich langsam in seine trauernde Haltung zurückzieht. Nun können die Eisperlen von den Frostkobolden eingesammelt, poliert und verkauft werden.
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