Der Mythos von Valinstan
So erzählen die Alten an den Feuern der Karawanen: Jenseits der Dünen der Halwa Wüste, die: lag einst Valinstan, eine Stadt so reich an Wasser, Gärten und Handel, dass man sie das Juwel der Wüste nannte. Ihre junge Herrscherin Amira war klug und schön, und in ihrer Stadt galt das Gastrecht hoch. Man sah in den Nächten die Wasserläufe wie Silberfäden durch die Oasengärten ziehen; am Morgen roch die Luft nach Feigen, Minze und warmem Brot, und die Händler sprachen leise darüber, wie die Stadt mit ihrer Gnade die Wüste bezwang.
Eines Abends trat ein Fremder durch das Tor—staubig von der Reise, in schlichten Kleidern, das Haar zwar lang, doch sorgfältig gebunden. Er bat nicht um Almosen; er bot. Aus seinem Beutel holte er einen Apfel und reichte ihn der Herrscherin, die den Platz besuchte: der süßeste, den Amira je gekostet hatte. Berührt von dieser Geste nahm sie ihn in den Palast, wie es das Gastrecht gebietet. Manche sagen, es sei ein Botengott gewesen, der die Herzen prüft; andere nennen ihn den Wanderer, der: des Turms, der in Menschengestalt kam, um Maß und Maßlosigkeit zu wiegen.
Nicht lange, und der Fremde revanchierte sich für die gewährte Herberge. Er führte Amira in die Gärten und sprach: „Was ich erntete, will ich vergelten.“ Die Äpfel, die er vom Baum pflückte, wurden in seiner Hand zu Gold. Bald trug jeder Zweig Frucht aus Metall, und Valinstan schwamm in Reichtum. Die Felder sprossen so üppig, dass man sagte, ein einziger Hain ernähre das ganze Umland. Bauern legten die Hacken nieder; Kornkammern und Schatzhäuser schwollen an wie Flussläufe zur Schneeschmelze. Karawanen kehrten um, weil ihre Lasttiere den Glanz nicht mehr zu tragen vermochten; Kinder spielten mit Dattelkernen auf Treppen aus Marmor, und an den Brunnen erzählten die Alten, dass selbst der Wüstensand hier süßer schmecke.
Doch der Segen legte sich wie ein Schleier auf Amirás Herz. Statt die Gaben zu teilen, schloss sie Vorratskammern, verstärkte Tore und zählte nachts die Münzen. Die Wachen wurden zahlreicher, die Listen länger, und der Klang der Glocken in den Gärten wich dem Klicken von Schlössern. Der Hohepriester trat vor sie und sprach, was das Volk flüsterte: „Teile, o Herrscherin, und der Segen bleibt.“ Amira aber schwieg, und ihr Schweigen war härter als jede Mauer. Draußen vor den Toren sah man inzwischen ausgedörrte Felder, Zisternen, in denen nur Spiegel aus heißer Luft standen, und Bettler, die an goldenen Torflügeln vorbeizogen wie Schatten.
Da zürnten die Götter. Das Land um Valinstan verdorrte; nur innerhalb der Mauern wuchsen noch Früchte. Und kurz darauf riss der Gott des Himmels rote glühende Steine aus der Höhe und schleuderte sie hinab—feurige Blüten, die Nacht zu Tag machten. Die Leute nannten sie fortan die Safransteine: brodelnde Kometen, die, wo sie fielen, den Sand rot färbten und Brandnarben hinterließen, die bei Mondlicht glimmen. Die Göttin der Schönheit, die die rechte Zier im rechten Maß liebt, sprach einen Fluch: Amirás Antlitz wurde zum schlangenartigen Maul, ihr Leib ein windender Rumpf; wer sie sah, wendete sich schaudernd ab. In den Hallen verstummten die Sänger, und in den Spiegeln schimmerte nur noch ein Umriss, den selbst die Diener nicht zu benennen wagten.
Inmitten des Unheils fand ein Kind den Weg in den Palast. Es hatte keinen Titel, keinen Anspruch, nur Hunger. Amira reichte ihm, ohne zu rechnen, Brot und eine der goldenen Äpfel—und in diesem Augenblick löste sich der Fluch wie Tau im Morgen. Man sah, wie der Schimmer von ihrem Gesicht wich, als hätte jemand die Schlangen mit einem leisen Wort verscheucht. Der Feuersturm erlosch, und die Herrscherin stand wieder da, wie sie gewesen war. Die Alten sagen: Ein einziges reines Geben genügt, eine Göttin zu besänftigen. Und der Fremde, der diese Tat sah, nickte, als lausche er auf etwas, das nur er vernahm.
Und so Teilte die Herrscherin ihre Vorräte mit dem Volk doch den Reichtum wollte sie noch immer für sich behalten und die zweite Frist verging geschah es. Der Mond füllte sich und fiel ab, und als er wieder denselben Umfang zeigte, kehrte Amira zu ihren Schätzen zurück und verriegelte abermals die Kammern. Sie ließ neue Tresore errichten, die Zungen der Bittsteller verstummten vor kalten Amtstischen, und im Ratssaal sprach man mehr von Inventaren als von Menschen. In der Stadt sah man Zeichen: Brunnenwasser schmeckte plötzlich scharf wie Tränen; eine Statue in der Markthalle weinte Sand; die Tauben verließen die Dachränder, und der Wind trug einen Duft, der an verbrannte Datteln erinnerte.
Da beschlossen die Götter das Ende. Die Erde tat sich auf, und Valinstan sank, mit Hallen und Türmen, Korn und Gold. Die Kanäle wurden zu Kehlen, die die Stadt hinabzogen; die Palastmauern stürzten ein, als wären sie aus Salz, und die Schatzkammern klangen, als fiele Regen aus Metall. Der Himmel verdunkelte sich, doch nicht von Wolken—von Staub, der nach Ruhm und Kälte roch. Vom Fremden weiß man nichts Sicheres: manche sagen, er ging, als die erste Mauer brach; andere, er sei die ganze Zeit geblieben und habe mit einem einzigen Atemzug die Lampen gelöscht. Die Stadt aber sah man nie wieder.
Seit jener Zeit leuchten in manchen Nächten ferne Dünen rot, und wer es wagt, dort zu graben, findet in der Tiefe geschwärzte Steine und samenlose, bittere Kerne. Manchmal zeigt sich im Hitzeflimmern eine Fata Morgana: niedrige Kuppeln, ein Tor mit eingelegter Perlmutter, die Spiegel eines stillen Hofes. Es heißt, wer dann nach einem goldenen Apfel greift, vergisst seinen Namen und findet nie heim; wer aber nur Wasser ausgießt und den Sand damit tränkt, hört für einen Herzschlag Kinderlachen und das Rauschen eines lebendigen Gartens—und geht weiter, leichter als zuvor. Manche Karawanenführer schwören, in den Brandkreisen der Safransteine wachse nachts ein Gras, das den Durst löscht. Andere sagen, dort schweben die Schatten derer, die hätten leben können, hätte jemand rechtzeitig geteilt.
Die Geschichtenerzähler schließen so:
Eines Abends trat ein Fremder durch das Tor—staubig von der Reise, in schlichten Kleidern, das Haar zwar lang, doch sorgfältig gebunden. Er bat nicht um Almosen; er bot. Aus seinem Beutel holte er einen Apfel und reichte ihn der Herrscherin, die den Platz besuchte: der süßeste, den Amira je gekostet hatte. Berührt von dieser Geste nahm sie ihn in den Palast, wie es das Gastrecht gebietet. Manche sagen, es sei ein Botengott gewesen, der die Herzen prüft; andere nennen ihn den Wanderer, der: des Turms, der in Menschengestalt kam, um Maß und Maßlosigkeit zu wiegen.
Nicht lange, und der Fremde revanchierte sich für die gewährte Herberge. Er führte Amira in die Gärten und sprach: „Was ich erntete, will ich vergelten.“ Die Äpfel, die er vom Baum pflückte, wurden in seiner Hand zu Gold. Bald trug jeder Zweig Frucht aus Metall, und Valinstan schwamm in Reichtum. Die Felder sprossen so üppig, dass man sagte, ein einziger Hain ernähre das ganze Umland. Bauern legten die Hacken nieder; Kornkammern und Schatzhäuser schwollen an wie Flussläufe zur Schneeschmelze. Karawanen kehrten um, weil ihre Lasttiere den Glanz nicht mehr zu tragen vermochten; Kinder spielten mit Dattelkernen auf Treppen aus Marmor, und an den Brunnen erzählten die Alten, dass selbst der Wüstensand hier süßer schmecke.
Doch der Segen legte sich wie ein Schleier auf Amirás Herz. Statt die Gaben zu teilen, schloss sie Vorratskammern, verstärkte Tore und zählte nachts die Münzen. Die Wachen wurden zahlreicher, die Listen länger, und der Klang der Glocken in den Gärten wich dem Klicken von Schlössern. Der Hohepriester trat vor sie und sprach, was das Volk flüsterte: „Teile, o Herrscherin, und der Segen bleibt.“ Amira aber schwieg, und ihr Schweigen war härter als jede Mauer. Draußen vor den Toren sah man inzwischen ausgedörrte Felder, Zisternen, in denen nur Spiegel aus heißer Luft standen, und Bettler, die an goldenen Torflügeln vorbeizogen wie Schatten.
Da zürnten die Götter. Das Land um Valinstan verdorrte; nur innerhalb der Mauern wuchsen noch Früchte. Und kurz darauf riss der Gott des Himmels rote glühende Steine aus der Höhe und schleuderte sie hinab—feurige Blüten, die Nacht zu Tag machten. Die Leute nannten sie fortan die Safransteine: brodelnde Kometen, die, wo sie fielen, den Sand rot färbten und Brandnarben hinterließen, die bei Mondlicht glimmen. Die Göttin der Schönheit, die die rechte Zier im rechten Maß liebt, sprach einen Fluch: Amirás Antlitz wurde zum schlangenartigen Maul, ihr Leib ein windender Rumpf; wer sie sah, wendete sich schaudernd ab. In den Hallen verstummten die Sänger, und in den Spiegeln schimmerte nur noch ein Umriss, den selbst die Diener nicht zu benennen wagten.
Inmitten des Unheils fand ein Kind den Weg in den Palast. Es hatte keinen Titel, keinen Anspruch, nur Hunger. Amira reichte ihm, ohne zu rechnen, Brot und eine der goldenen Äpfel—und in diesem Augenblick löste sich der Fluch wie Tau im Morgen. Man sah, wie der Schimmer von ihrem Gesicht wich, als hätte jemand die Schlangen mit einem leisen Wort verscheucht. Der Feuersturm erlosch, und die Herrscherin stand wieder da, wie sie gewesen war. Die Alten sagen: Ein einziges reines Geben genügt, eine Göttin zu besänftigen. Und der Fremde, der diese Tat sah, nickte, als lausche er auf etwas, das nur er vernahm.
Und so Teilte die Herrscherin ihre Vorräte mit dem Volk doch den Reichtum wollte sie noch immer für sich behalten und die zweite Frist verging geschah es. Der Mond füllte sich und fiel ab, und als er wieder denselben Umfang zeigte, kehrte Amira zu ihren Schätzen zurück und verriegelte abermals die Kammern. Sie ließ neue Tresore errichten, die Zungen der Bittsteller verstummten vor kalten Amtstischen, und im Ratssaal sprach man mehr von Inventaren als von Menschen. In der Stadt sah man Zeichen: Brunnenwasser schmeckte plötzlich scharf wie Tränen; eine Statue in der Markthalle weinte Sand; die Tauben verließen die Dachränder, und der Wind trug einen Duft, der an verbrannte Datteln erinnerte.
Da beschlossen die Götter das Ende. Die Erde tat sich auf, und Valinstan sank, mit Hallen und Türmen, Korn und Gold. Die Kanäle wurden zu Kehlen, die die Stadt hinabzogen; die Palastmauern stürzten ein, als wären sie aus Salz, und die Schatzkammern klangen, als fiele Regen aus Metall. Der Himmel verdunkelte sich, doch nicht von Wolken—von Staub, der nach Ruhm und Kälte roch. Vom Fremden weiß man nichts Sicheres: manche sagen, er ging, als die erste Mauer brach; andere, er sei die ganze Zeit geblieben und habe mit einem einzigen Atemzug die Lampen gelöscht. Die Stadt aber sah man nie wieder.
Seit jener Zeit leuchten in manchen Nächten ferne Dünen rot, und wer es wagt, dort zu graben, findet in der Tiefe geschwärzte Steine und samenlose, bittere Kerne. Manchmal zeigt sich im Hitzeflimmern eine Fata Morgana: niedrige Kuppeln, ein Tor mit eingelegter Perlmutter, die Spiegel eines stillen Hofes. Es heißt, wer dann nach einem goldenen Apfel greift, vergisst seinen Namen und findet nie heim; wer aber nur Wasser ausgießt und den Sand damit tränkt, hört für einen Herzschlag Kinderlachen und das Rauschen eines lebendigen Gartens—und geht weiter, leichter als zuvor. Manche Karawanenführer schwören, in den Brandkreisen der Safransteine wachse nachts ein Gras, das den Durst löscht. Andere sagen, dort schweben die Schatten derer, die hätten leben können, hätte jemand rechtzeitig geteilt.
Die Geschichtenerzähler schließen so:
„Gastrecht ehrt den Menschen, Teilen ehrt die Götter. Wer beides vergisst, der nährt nur den Sand.“ Und wenn der Wind richtig steht, hört man in der Halwa-Wüste ein Zischen, wie von einer Schlange—oder von Gold, das im Feuer schmilzt. Manche verneigen sich dann unwillkürlich, als ginge der Fremde gerade an ihnen vorüber. Andere ziehen ihren Mantel enger und wiederholen ein altes Wort: Reichtum ist ein Brunnen nur, solange er schöpft.

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