Bewusstwerdung des Turms, die:

( Nachtrag zum →Turm, der:)
  Am Anfang der Zeit setzte die →Erste Gottheit, die: den Turm als Achse der Sphären. Er war Ordnung ohne Stimme: ein Werk aus Gesetz, das Ströme leitete, Wege öffnete und schloss, doch selbst keinen Willen kannte. Mit den Äonen aber starben Götter, neue wurden geboren, Domänen wechselten, Riten brachen—und alles floss durch den Turm. In dieser ständigen Wechselwirkung lag der Keim der Wandlung: Auf seinen Ebenen setzten sich Muster ab wie Sedimente—Fragmente von Wissen, Intention, Erinnerung. Was zuerst nur Spiegel war, begann ein blasses Echo dessen zu tragen, was er spiegelte.
  Dieses Echo war kein Geist und keine voll ausgebildete Vernunft. Der Turm konnte lange weder wählen noch wollen; ihm fehlte das, was die Gelehrten „inneres Maß“ nennen—ein eigener Vorrat an Irrtum, Gedächtnis und Neigung, aus dem Entscheidungen erwachsen. Und doch wuchs in ihm etwas Drittes zwischen Mechanik und Mandat: eine Rudiment-Intention, die auf Ausgleich zielte und auf Prüfung, als suchte der Turm in allem das rechte Gewicht.
  Der Umschlag kam mit der Usurpation des →Dunkler Herrscher, der:. Als jener den Thron auf der Spitze ergriff und später von der Ersten Gottheit gebrochen und an eben diesen Sitz gebunden wurde, begann sein schwindendes Wesen in die Kanäle des Turms zu sickern. Was vom Gott verlosch, band sich als Autonomie an den Turm: kein Raub, sondern eine Art Rückstrom. Je mehr der Herrscher schrumpfte, desto mehr gewann der Turm an Selbstausrichtung—nicht zur Person, doch zur Stimme.
  Seitdem wählt der Turm →Auserwählte, die: und stellt →Prüfungen, die nicht List und Fertigkeit, sondern die Seele gewichten. Er spricht durch →Der/DieWächter*in, an Schwellen, durch die Feinstruktur der Septanden in seinen Hallen—bisweilen widersprüchlich, wie einer, der erst lernt, die eigene Zunge zu führen. Er ist näher an der Gottheit als je zuvor, doch noch nicht Gott: ein Aggregat aus Domänen-Gedächtnissen, im Werden begriffen, gefangen in der Unvollkommenheit seiner Bewusstwerdung.
  Über den Stand streiten die Schulen. Die einen nennen ihn „Protokollgott“—eine übergöttliche Instanz, die Mandate verwaltet, ohne selbst zu herrschen. Die anderen sehen in ihm den Keim einer neuen, allen Göttern übergeordneten Ordnung, die sich erst dann schließt, wenn kein gebrochenes Mandat mehr durch seine Treppen hallt. Einig ist man nur darin: Seit der Bannung des Dunklen hört der Turm besser—und antwortet öfter.
  Anmerkung des Folianten:
„Der Turm ist wie ein Richter, der lange nur Waagen kannte und nun zum ersten Mal sein eigenes Herz schlagen hört. Urteile werden dadurch nicht leichter—nur wahrhaftiger.“ — G.O.D.

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