Neue Grenzen
Stich ins Herz
Der Tag neigte sich dem Abend zu. Ebram hatte zusammen mit Hollwart die Straße ein Stück weit abgesucht – in der Hoffnung, die Kiste zu finden. Vielleicht war sie ja von der Ladefläche gefallen, als die rasenden LKWs zurück zum Lager fuhren, aber sie wurden nicht fündig. Zudem hätte die Kiste entlang der gesamten Strecke liegen können, was für den heutigen Tag zu viel Aufwand bedeutet hätte. Beide waren überzeugt, dass die Kiste früher oder später wieder auftauchen würde. Auch wenn sie es nicht aussprachen, hatten sie doch ein seltsames Gefühl bei der Sache. Sie konnten es nicht benennen, aber sie lasen es sich gegenseitig von den Augen ab. Als sie sich verabschiedeten, um zu ihren jeweiligen Zelten zu gehen, hielten beide kurz inne, als gäbe es noch etwas zu sagen. Doch sie schwiegen, nickten sich nochmals zu – und jeder ging zu seinem eigenen Zelt.
In seinem Zelt angekommen, ließ sich Ebram erst einmal auf einen der beiden Hocker fallen, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub die Hände in den Haaren. Sein Verstand rotierte. Es musste eine Erklärung für all die Dinge geben. Logisch betrachtet konnte fast alles für sich allein erklärt werden: Die ramponierten LKWs könnten von unvorsichtigem Fahren, vielleicht sogar überhöhter Geschwindigkeit herrühren. Die verschwundene Kiste könnte einfach heruntergerutscht sein. Der Schock der vier Männer – vielleicht ein Unfall? Hatten sie etwas überfahren? Ein Tier? Einen Menschen? Seine Gedanken spulten mehrere Varianten des Geschehens ab, aber die offensichtliche Angst und die völlige geistige Abwesenheit der vier, ließen ihn nicht los.
Seufzend zog er sich bis auf Unterhemd und Shorts aus, schlüpfte in seinen Lieblingsschlafanzug und legte sich in die Hängematte. Er wusste, dass er erst einmal Abstand gewinnen und versuchen sollte zu schlafen. Morgen konnte er sich wieder Gedanken machen. Doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Unruhig wälzte er sich hin und her, dämmerte kurz ein, nur um wenige Minuten später wieder zu erwachen. Erst gegen Morgen, als es wieder hell wurde, fiel er endlich in einen erlösenden Schlaf.
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Als er erwachte, war der Mittag schon vorbei. Jemand hatte ihm das Frühstück auf den Tisch gestellt, doch ihm verging der Appetit, als er die Fliegen darauf herumkrabbeln sah. Er wollte gar nicht erst nachsehen, ob sie bereits Eier auf den Schinken gelegt hatten, und verzog angewidert bei dem Gedanken daran das Gesicht. Mit dem Teller in der Hand trat er aus dem Zelt und winkte einen der Assistenten herbei.
„Werfen Sie das weg.“
Der Assistent sah auf das Essen, das nun durch den kurzen Transport von Fliegen befreit war, und lächelte.
„Wollen Sie das wirklich nicht essen?“ Er nahm den Teller an sich.
Ebram schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde mir etwas vom Mittagessen holen. Da ist bestimmt noch etwas übrig, oder?“
„Sicherlich!“, erwiderte der junge Mann und steckte sich den Schinken in den Mund.
Im großen Zelt, in dem die Arbeiter gemeinsam aßen, war die Luft noch geschwängert vom Mittagessen. Es roch nach Kohlgemüse und Sauerbraten. Ebram näherte sich der improvisierten Küche am hinteren Ende und bemerkte, dass man noch mit Spülen und Säubern beschäftigt war. Glücklicherweise war der Gemüsetopf noch nicht dran gewesen, und mit einem raschen Blick ins Innere überzeugte er sich davon, dass noch genügend vorhanden war, um satt zu werden. Auf einem blechernen Tablett lagen Bratenscheiben in dunkler Soße. Er schnappte sich einen frisch gewaschenen Teller und häufte darauf mehrere Scheiben Fleisch und Gemüse. Er suchte nach Besteck, als es ihm plötzlich vor die Nase gehalten wurde. Erstaunt sah er auf.
Große haselnussbraune Augen mit langen Wimpern, eine hübsche gerade Nase und eindeutig weibliche Lippen rundeten das leicht genervt aussehende Gesicht ab, das ihm entgegenblickte.
„Wenn Sie zu spät kommen, Dr. Rolfo, dürfen Sie das benutzte Geschirr auch selbst waschen.“
Ebram blieb der Mund offen stehen – tatsächlich, eine Frau!
„Sie können den Mund wieder zumachen. Ich werde Sie nicht füttern. Sie sind alt genug, selbst Messer und Gabel zu führen“, sagte die Frau nun sichtlich amüsiert.
Mit einem nicht ganz so leisen Geräusch schloss Ebram den Mund und nahm das Besteck entgegen.
„Danke, aber... wieso sind Sie hier?“
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Der Name der jungen Frau war Abby – eigentlich Abigail –, aber sie stellte sich eben nur als Abby vor. Als Ebram nach ihrem Nachnamen fragte, machte sie eine undeutliche Geste, die alles bedeuten konnte: von „unwichtig“ bis „hab ich vergessen“. Sie setzte sich zu ihm, während er aß, und beobachtete ihn. Ebram war von der Aufdringlichkeit der jungen Dame ziemlich überrumpelt.
„Verzeihen Sie, Abby, wieso sitzen Sie hier und schauen mir beim Essen zu?“, entschloss er sich schließlich zu fragen.
„Nun, ich kenne solche Reaktionen wie Ihre. Die meisten Männer nötigen sich mir dann auf und reden mir ein, dass eine Expedition nichts für ein so zart besaitetes Wesen wie eine Frau sei. Dann kommen die Vorschläge, mich nach Hause zu bringen oder meine Verwandtschaft anzurufen, damit man mich abholen und sicher zurückbringen kann. Dem beuge ich jetzt einfach vor, indem ich Ihnen Rede und Antwort stehe – sofern Sie interessiert sind – und indem ich Ihnen gleich sage, dass ich die Expedition nicht verlassen werde, egal, was Sie für richtig halten.“
In ihrem Gesicht war Entschlossenheit zu lesen.
Ebram legte das Besteck beiseite, musterte sie erneut, räusperte sich, um die richtigen Worte zu finden, und antwortete recht kühl:
„Nun denn, werte Abby, da Sie mir nun Ihren Standpunkt erklärt haben, bleibt mir wohl nichts weiter zu tun, als ihn zu akzeptieren. Sie lassen mir diesbezüglich ja keine andere Wahl.“
Sie stand auf und nickte ihm zu. „Richtig. Man sagte mir, dass Sie keine Frauen in Ihren Expeditionen tolerieren. Sie sind einsichtiger, als ich dachte – erfreulich.“
Ebram stand nun ebenfalls auf. „Mit Einsichtigkeit hat das nichts zu tun. Sollte ich feststellen, dass Sie eine Belastung sind, werde ich entsprechende Schritte einleiten. Allerdings sind Sie keine richtige Expeditionsteilnehmerin, sondern begleitendes Personal. Das ist etwas anderes – das kann ich akzeptieren.“
Er hatte das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben, denn Abby drehte sich wortlos mit einem Schnauben um und kehrte in den Küchenbereich zurück. Ebram setzte sich wieder an den Tisch und aß zu Ende. Das Besteck legte er fein säuberlich auf die benutzte Serviette. Dass er das Geschirr selbst spülen sollte, hatte er schon wieder vergessen – seine Gedanken waren längst woanders.
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Nachdem er sich frisch gemacht hatte, ging er zu Hollwart, der bei einem der drei LKWs stand und durch die offene Fahrertür in die Kabine sah.
„Haben Sie etwas Neues entdeckt, Herr Hollwart?“
Der Vorarbeiter hatte ihn wohl schon beim Näherkommen bemerkt und antwortete, ohne sich umzudrehen: „Nein, nichts Neues. Wobei ich mir relativ sicher bin, dass kein Tier oder Mensch in diese Verwüstung verwickelt war. Ich konnte nur Holzsplitter, Erdreich und Nadeln von den Bäumen finden.“
Nun drehte er sich doch um. „Allerdings habe ich im Motorraum dieses Wagens hier eine Wurzel gefunden.“
Ebram runzelte die Stirn. „Eine Wurzel?“
Hollwart nickte und ging zur Motorhaube. Mit einem Klacken öffnete sie sich ein Stück und wurde dann unter lautem metallenen Quietschen von Hollwart hochgestemmt und eingehakt.
Ebram starrte in den Motorraum und zog leise den Atem ein. „Wie ist das möglich?“
Er beugte sich vor, um die Wurzel zu betrachten, die sich um den Motorblock geschlungen hatte und weitere Triebe zur Bremsflüssigkeit, dem Öltank und der Getriebestange ausgestreckt hatte.
„Ich habe keine Ahnung. Ich kenne mich mit Pflanzen nicht wirklich aus, aber so dick wie die Stränge sind, muss sie schon Wochen hier drin gewachsen sein. Doch die LKWs werden vor jeder Fahrt genauestens gecheckt.“ Er deutete auf die Wurzel. „Und das... wäre aufgefallen.“
Vorsichtig berührte Ebram die Wurzel, fast schon in Erwartung, dass sie zucken und nach ihm greifen würde – doch nichts geschah.
„Wäre es möglich, dass dieser Wagen übersehen wurde?“
„Theoretisch schon. Aber die beiden anderen Wagen haben ebenfalls Wurzeln – nur nicht im Motorblock, sondern in der Fahrerkabine.“
Die beiden Männer gingen, nachdem die Motorhaube wieder geschlossen war, zu einem der anderen LKWs und betrachteten die Fahrerkabine. Auch hier waren Wurzeln, die den Fußraum bedeckten und sich an den Sitzen hochschlängelten, teilweise sogar die Sitzfläche durchstachen.
„Sie können sagen, was Sie wollen, Dr. Rolfo, aber irgendwas an diesem Wald stimmt nicht. Ich bin mit Sicherheit nicht abergläubisch, aber das hier...“ – seine Hand hob eine dünne Wurzel hoch – „... ist unnatürlich. Ich kann es mir nicht erklären.“
Er beugte sich etwas näher zu Ebram. „Die Arbeiter werden unruhig. Zu viele seltsame Geschehnisse. Heute Morgen beim Frühstück war die Stimmung gedrückt. Es sind nur ein paar, die von einem Fluch sprechen – dass der Wald sich für die Schneise rächt und so weiter. Aber sowas macht schnell die Runde.“
Ebram kniff die Augen zusammen und fragte leicht verärgert, aber für ihn absolut schlüssig: „Haben Sie diese Personen nach Hause geschickt und neue Leute angefordert?“
Die Mimik und Gestik von Hollwart schlugen augenblicklich in eine abwehrende und entschlossene Haltung um. Er schloss demonstrativ die Fahrertür und stellte sich breitbeinig hin, die Hände herausfordernd in die Hüften gestemmt.
„Nein, das habe ich nicht. Arbeiter wachsen nicht auf den Bäumen. Ich habe mit jedem Einzelnen gesprochen und ihn darauf eingeschworen, solche Dinge zukünftig für sich zu behalten.“
Ebram registrierte sehr wohl die Körpersprache, aber es interessierte ihn nicht sonderlich. Belehrend hob er den Zeigefinger.
„Wenn Sie glauben, dass dies ausreicht... Ich habe Geschichte studiert. Ich kenne die Auswirkungen von Gerüchten und Hetzreden. Die Geschichte ist voll davon: Meuterei, Revolution, Hexenverbrennungen – all das hat klein angefangen. Glauben Sie mir, sowas ist ernst zu nehmen.“
„Ich nehme es ernst. Aber ich bin niemand, der einen Arbeiter nach einem erstmaligen Fehlverhalten – wobei dies nicht mal ein Fehlverhalten ist – feuert.“
Hollwart verschränkte nun die Arme vor der Brust.
„Verstehe, Herr Hollwart. Sie kennen Ihre Arbeiter besser als ich und tun sicherlich das Richtige. Ich wollte nicht in Ihren Kompetenzbereich eingreifen – bitte entschuldigen Sie“, lenkte Ebram ein. Er mochte Hollwart und wollte ihm glauben.
Die Situation entspannte sich ein wenig, und Hollwart lächelte versöhnlich. „Ich verstehe Ihre Bedenken und werde sie im Hinterkopf behalten, Dr. Rolfo.“
Auch Ebram lächelte erleichtert. „Gut, dann wäre das ja geklärt. Entfernen Sie bitte selbst die Wurzeln, bevor noch mehr Gerüchte entstehen.“
„Das hatte ich sowieso vor.
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Am Nachmittag trommelte Ebram seine Assistenten und Träger zusammen, um das Gebiet weiter abzusuchen und Normalität zu suggestieren. Doch auch ihn beschäftigten die Ereignisse weiterhin, sodass er den Wald mit neuen Augen betrachtete. Tagsüber wirkte der Wald normal – etwas dunkler als andere Wälder, aber nicht finster, eher wie eine beständige Dämmerung. Morgens und abends kam häufig Bodennebel auf, was durchaus unheimlich wirken konnte. Der Nebel verschluckte oder dämpfte die Geräusche von Schritten, was schon zu einigen erheiternden Situationen geführt hatte, wenn sich jemand erschrocken hatte. Größere Tiere – abgesehen von Insekten und wirbellosen Kleinstwesen – sah man so gut wie nie, was dem Wald einen Hauch von Unwirtlichkeit oder Lebensfeindlichkeit verlieh. In der Nacht, die recht früh hereinbrach, wurde der Wald sehr still und geradezu finster. Er schien das Licht zu verschlucken – und auch viele Geräusche.
Wie zu erwarten wurde bei der Suche nichts Besonderes gefunden, und als der Bodennebel aufstieg, kehrten sie zum Lager zurück. Ebram ließ seinen Blick über das Lager schweifen und registrierte eine recht gedrückte Stimmung. Er entließ seine Assistenten in den Feierabend und ging in sein Zelt, um sich für das Abendessen umzuziehen. Er hätte gerne mit dem Vorarbeiter privat gegessen, aber nach dem heutigen Gespräch vermutete er, dass Hollwart ablehnen würde. Also beauftragte er einen seiner Lakaien, ihm das Abendessen zu bringen, und schlug sein Notizbuch auf. Zeit, sich den Geschehnissen schriftlich zu widmen. Das Essen, das ihm gebracht wurde, aß er eher nebenbei.
Nachdem er alles zusammengefasst und auch seine persönlichen Gedanken niedergeschrieben hatte, verstaute er das Buch wieder im Kofferschrank. Er wollte noch eine Runde spazieren gehen und den Wald betrachten – ganz neutral natürlich. Als er aus dem Zelt trat, entdeckte er Hollwart, der am Rand des Lagers stand und die Schneise entlangblickte. Ebram gesellte sich zu ihm und sah ihn von der Seite an.
„Herr Hollwart, Sie scheinen oft die gleichen Gedankengänge zu haben wie ich.“
Hollwart sah zu ihm und lächelte schief. „Guten Abend, Dr. Rolfo. Ist dem so? Was zieht Sie hierher?“
Ebram holte tief seufzend Atem und ließ seinen Blick von rechts nach links über den Wald schweifen.
„Nun ja, dieser Wald ist wirklich seltsam. Ich wollte mir einen Eindruck verschaffen – so neutral wie möglich.“
„Sie meinen: so unbelastet, wie es derzeit noch möglich ist“, stellte Hollwart klar.
„Ja, das ist sicherlich korrekter ausgedrückt“, bestätigte Ebram. „Wieso stehen Sie hier?“, hakte er nun selbst nach.
Hollwarts Blick richtete sich in die Ferne. „Der LKW... er ist noch nicht zurückgekehrt.“
Ebrams Blick folgte seinem. „Warten wir noch bis morgen, ehe wir etwas unternehmen.“
Seufzend wandte sich Hollwart um. „Ja, heute werden wir nichts mehr tun können. Gute Nacht, Dr. Rolfo.“
„Gute Nacht, Herr Hollwart.“
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Auch am nächsten Tag kam der LKW nicht zurück, und gegen Mittag beschloss Ebram, der Sache auf den Grund gehen zu wollen. Er marschierte zum Zelt von Hollwart und trat einfach ein. Der Vorarbeiter war gerade dabei, sich eine Jacke anzuziehen, und drehte sich zum Zelteingang, als Ebram eintrat. Erst in diesem Moment wurde sich Ebram bewusst, wie unhöflich er gewesen war, und machte einen Schritt zurück.
„Verzeihung, ich... hmm.“ Er hob die Hände, als wollte er etwas greifen – eine Erklärung –, und ließ sie dann hängen, zusammen mit seinen Schultern. „… das war unverzeihlich. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Bitte entschuldigen Sie.“
Hollwart schmunzelte erheitert. „Schon in Ordnung. Sie haben mich nicht in einer prekären Situation erwischt. Was treibt Sie zu mir?“
Ebram deutete nach draußen. „Der LKW ist immer noch nicht zurückgekehrt, und ich wollte fragen, ob wir nicht nach ihm suchen sollten.“
Mittlerweile hatte Hollwart die Jacke zugeknöpft und sich vollständig zu Ebram umgedreht. „Genau das habe ich jetzt vor. Möchten Sie mich begleiten?“
Ebram wollte es nicht zugeben, aber er hatte gehofft, gefragt zu werden. Er wollte sich selbst ein Bild machen und sich nicht auf Erzählungen verlassen müssen. Das Naheliegendste war, dass die Polizei verständigt wurde und die Fahrer verhörte. Das könnte zum Abbruch der Expedition führen und das wollte er natürlich verhindern. Und ganz unterschwellig stieg in ihm der Verdacht auf, dass vielleicht etwas anderes passiert sein könnte. Doch das verdrängte er konsequent.
„Ja, sehr gerne! Nehmen wir auch einen LKW?“
Hollwart schüttelte den Kopf. „Nein, wir nehmen meinen kleinen Geländewagen. Der ist wesentlich schneller unterwegs, sodass wir es bis in die Stadt und wieder zurück schaffen können, wenn wir uns ranhalten.“
Die Zeltplane zurückschlagend bedeutete er Ebram, voranzugehen. Gemeinsam gingen sie zu Hollwarts geländegängigem Auto und stiegen ein. Ebram hielt sich mit einer Hand am Griff über der Tür fest, als Hollwart anfuhr.
„Haben Sie Bescheid gegeben?“
„Ja, habe ich. Und ich habe auch mitgeteilt, dass Sie mich vermutlich begleiten werden.“ Er sah kurz zu Ebram – fast mit einem spitzbübischen Grinsen.
Der Doktor sah sich genötigt, kurz aus dem Fenster zu schauen, damit Hollwart seine Miene nicht lesen konnte – er war überrascht und erfreut.
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Hollwart lenkte den Geländewagen auf die Schneise zu und gab Gas. Ebrams Hand verkrampfte sich um den Griff, und im ersten Moment erschrak er über das Tempo, mit dem der Wagen über die neu geschaffene Straße bretterte. Er wagte es, zu Hollwart zu schielen, der recht lässig in seinem Sitz saß und auf die Straße blickte. Sich langsam entspannend, richtete auch Ebram seinen Blick nach vorn. Die ersten eineinhalb Kilometer waren wie erwartet unspektakulär. Auch die vermisste Kiste konnte er nirgends auf dem Boden liegend entdecken.
Doch dann bremste Hollwart den Wagen schnell, aber nicht abrupt, auf Gehgeschwindigkeit herunter und sah intensiv nach vorne.
„Was ist los?“, fragte Ebram und folgte Hollwarts Blick. Im ersten Moment konnte er nichts erkennen – überall Bäume, wie bisher auch. Dann stutzte er, denn die Straße endete etwa 300 Meter vor ihnen in einer Wand aus Bäumen.
Hollwart sprach das aus, was Ebram dachte: „Was zur Hölle geht da vor?“
Der Wagen tuckerte langsam auf die Baumwand zu, die bedrohlich, geradezu provokativ den Weg versperrte. Selbst der Geländewagen würde nicht hindurchkommen – geschweige denn ein LKW. Fünfzig Meter vor der Wand hielten sie an und stiegen aus. Langsam näherten sie sich dem unnatürlichen Ende der Straße.
„Wie ist das möglich?“, fragte Ebram fassungslos ins Leere, ohne eine Antwort zu erwarten.
„Ich habe keine Ahnung!“, antwortete Hollwart im gleichen Ton.
Plötzlich hielt Hollwart Ebram am Oberarm fest. „Doktor, dort drüben!“
Er deutete schräg links zwischen die Bäume, und Ebram sah, was er meinte: der LKW.
Beide starrten auf das Bild des Entsetzens vor sich. Der LKW hing zwischen den Ästen mehrerer Bäume, teilweise waren sie auch durch das Fahrzeug hindurchgewachsen. Die Windschutzscheibe war herausgebrochen und hing an einem anderen Ast. Die Fahrertür stand offen, und die offensichtliche Leiche von Tomasch hing kopfüber heraus. Ein Ast hatte sich durch seinen Brustkorb gebohrt. Das Ende des Astes ragte wie ein Dolch oben heraus, rotbräunlich gefärbt.


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