Mana
2087 ernährt sich die Menschheit von ehemals nur Astronauten und Besatzungen von Langstreckenbombern vorbehaltenem MegaCorps-Gel. Nur Trillionäre konnten sich in ihren Dachwohnungen einen eigenen Garten leisten und hatten damit als einzige Private exklusiven Zugang zu frischem und unverarbeitetem Obst und Gemüse.
Wurde aber auf einer tieferen Etage ein Salat gegessen, dann war das aus Sicht des Sozialstaates ein Akt tiefster Dekadenz und Ausdruck rebellischer Aggression, mit der man «denen da oben» zeigen wollte, dass sich auch die SchattenEtagen noch "Luxus" leisten konnten, und damit signalisierten, dass auch das Volk an der Basis der Megatürme immer noch den Willen, die Mittel und die richtigen Kontakte besass, sich auch heute noch jedes Gut - von Nahrungsmitteln über Medikamente bis hin zu Waffen - beschaffen zu können und deshalb ernst genommen werden wollte. Und somit war das demonstrative Essen von Salat eine unverblümte Kampfansage an das Establishment und eine Aufforderung zum Widerstand gegen den offiziell als «Verschwendung organischer Güter» medial vermarkteten Aufruf zur kollektiven Mässigung. Und das, obwohl alle wussten, dass es in den Aussenzonen immer noch «Grünes» im Überfluss gab und diese Einschränkungen damit lediglich dazu dienten, die Dominanz der Mega-Corps weiter auszubauen.
Als die dekadentesten Penthousbewohner begannen, sich einen Spass daraus zu machen, Salat oder Spinatblätter von ihren Balkonen segeln zu lassen, ging es weniger darum, sich am Schauspiel der Tausenden zu ergötzen, die versuchten, mit ihren "LeaveCatchern" vom Fenster aus ein Blatt echtes «Grün» zu angeln, sondern sich der demonstrativ aggressiv zur Schau gestellten «Spiegel-Dekadenz» des Fussvolkes in einer Art Gegen-Demonstration über die «Anmassung» des Schattenvolkes – je nach Leseart – entweder zu empören oder zu belustigen. Erst mit dem Aufkommen der Wetten (mittlerweile ein Milliardenbusiness), ob und auf welcher Höhe die schon bald «Mana» genannten Goodies abgefangen werden, wandelte sich das, was als soziopolitisches Aufbegehren begonnen hatte, zu einem wohlwollend akzeptierten ScraperEvent, welcher alle Bewohner gleichermassen zu begeister begann: nicht nur, weil man so– sofern man sich geschickt anstellte und die «Oberen» nicht noch geschickt waren - in den Genuss von etwas exklusivem BioGrün kam, sondern weil dieser bald auf den sozialen Medien als "Falego" (Esperanto für "herabfallen") vermarkteter, internationaler ScraperEvent als Abwechslung zum medialen Einheitsbrei endlich mal wieder was real Partizipierbares, und damit hochwillkommen war.
Die Herausforderung für die Werfer (natürlich warfen die Reichen nicht selbst, sondern hatten dafür handverlesenes Personal) bestand nun darin, einerseits etwas Leichtes zu kreieren, welches sich lange schaukelnd in der Luft halten konnte, um gesehen und gefangen zu werden, und andererseits genügend attraktiv war, dass es gefangen werden wollte.
Dabei wurde das sogenannte «Mana» – eine Art luftig gebackener, in einer Spezialzüchtung spezielle langer Kokablätter eingewickelter Teekuchen– bald zum Standard dieser Veranstaltung und damit nicht nur zum kulinarischen Highlight vieler, sondern das diesbezüglich jährlich stattfindende "Falego" auch Sinnbild der real existierenden Macht- und Ressourcenverteilung von oben nach unten. Wo sich früher Regenten und Kirchenfürsten auf dem Balkon zeigten, lassen heute trend- und wertbewusste Trillionäre Teekuchen auf das einfache Volk regnen. Für die Gelegenheit, sich mit wenig Aufwand etwas Wohlwollen und Gunst des Schattenvolkes zu sichern, werden Dachwohnungen seit ein paar Jahren oft nur für diesen Anlass gemietet, gekauft und neuerdings auch– mit speziell dafür vorgesehenen Erkern– gebaut.
Ob dies der aktiven medialen Bewerbung der Reichen zu verdanken war, mit der jede "Falego" (Esperanto für «herabfallen») in den jeweiligen ScraperNews angekündigt wurde, oder Mana tatsächlich wegen des Nahrungsgehalts und Qualität so beliebt waren, lässt sich im Nachhinein nicht mehr genau sagen– ist aber auch egal.
Fakt aber ist, dass eine Falego sämtliche Bewohner des Wohnturms von ihren Medienwänden riss. Und auch wenn sie immer noch ihre 4D-Brillen, um dem von Drohnen gefilmten Geschehen vor dem eigenen Fenster noch aus anderen Perspektiven zu folgen und den diesbezüglichen Status zu checken, so bekamen diese Teekuchen‑«Falegos» immer die ganze, uneingeschränkte Aufmerksamkeit der meisten ihrer vielen tausend Bewohner wie es sonst keinem anderen Event - nicht mal, wenn Resa Saffa Park endlich ihren Oskar bekäme oder ihren Gitarren-Loverboy heiratete, vergönnt war.
Wikipedia (RealWelt-Definitionen)
Mana
Mana ist in verschiedenenSprachen eine transzendente Kraft, die – unter anderem durch Leistungen und Taten – auf Menschen, aber auch auf Naturphänomene, übertragbar ist. Mana spielt eine zentrale Rolle in den traditionellen kulturellen und religiösen Überzeugungen der Völker Ozeaniens und hier insbesondere in der polynesischen Religion.
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