Chlorake von Enns

Das Objekt 13 des Kasernenareals von Enns heißt offiziell Heeresbetreuungsstelle (HBS). Von den 13 Gebäuden auf dem Areal ist es nicht nur das Neueste (erst 1953 noch unter sowjetischer Besatzung eröffnet), sondern auch unter dem Spottnamen "Chlorake" bei allen Lernenden und Lehrenden im Kasernenareal verschrieen, weil auch im Kinosaal und in der Bierstube alles nach dem Chlor des Schwimmbeckens riecht.
Obwohl es ein gastlich-einladendes Gebäude mit zwei Turnsälen, einem Schwimmbad, der Duschanlage und dem Kasernkino ist, sowie der einzige Ort, an dem offiziell Alkohol ausgeschenkt werden darf, kommen die meisten nur schnell, um in kürzester Zeit ein paar Gläser oder Stamperl zu leeren und dann chlorifiziert das Gebäude auf der Suche nach Frischluft zu verlassen.
Ein baulicher Murx, den kein vernünftiger Kasernbenutzer aufsuchen sollte, und der dennoch Freude und Ertüchtigung spendet.

Localized Phenomena

Der ständige Geruch von Chlor aus der Hallenbaddesinfektion erfüllt nicht nur das Bad und den anschließenden Duschraum, er schiebt sich auch in Gang, die beiden Turnsäle und selbst in Kino und Gaststuben.

Fauna & Flora

An manchen Fliesen der gigantischen Duschanlage finden sich bereits üppige Algengewächse, die übrigen Räume hingegen sind penibelst von Pflanzen freigehalten. Aufgrund der permanenten Chlorausdünstungen gibt es allerdings auch keine Schädlinge, die Fliesen, Parkett oder Linoleum anknabbern würden.

History

Das ursprüngliche Gelände der Kaiser-Franz-Joseph-Kadettenanstalt in Enns bestand aus einem C-förmigen Hauptgebäude im klassizistischen Stil (Objekt 1), einer dem Haupteingang gegenüberliegenden, am anderen Ende des begrünten Antreteplatzes gelegenen Kommandantenvilla (Objekt 2), rechts davon einem Offiziershaus (Objekt 3), links einem Unteroffiziershaus (Objekt 4), im hinteren Teil des Parks einem abgetrennten Pavillon für das Krankenrevier (Objekt 5) und einem Gartengeräteschuppen mit angeschlossener Tankstelle (Objekt 6).
Während der deutschen Besatzungszeit wurde - nach den Originalplänen - das Hauptgebäude um 90° gedreht nachgebaut (Objekt 7), um mehr Unterkunftskapazität zu generieren, sowie mit einer weiteren Kopie, erneut gedreht und damit einen neuen Appellplatz umhegend begonnen (Objekt 8). Dieses wurde dann erst unter der kurzen US-amerikanischen und nachfolgend sowjetischen Besatzung fertiggestellt.
Aus dieser Phase stammen auch zwei wellblechgedeckte Unterstellplätze für Fahrzeuge (Objekte 9 und 10). Ein gemauertes Saunagebäude mit vorgelagertem Schwimmteich (Objekt 11) und eine heute offiziell stillgelegte Wodkadestille (Objekt 12).
Ein 1952 neu hierherversetzte sowjetischer Kommandant wollte ein Zeichen besonderen Innovationsgeistes setzen und sich zugleich von den historischen österreichischen und nachgeäfften deutschen Gebäuden maximal distanzieren. Er ließ daher ein eingschoßiges Betreuungskonglomerat bauen, das er also Hobbyarchitekt selbst geplant hatte:
Von einem drei Meter breiten, fensterlosen Gang zweigten rechter Hand zwei Turnhallen und ein Schwimmbecken mit vier Bahnen ab. Hinter dem Schwimmbad ließ er auch eine moderne Duschanlage mit fünfzig Brauseköpfen errichten (allerdings müssen auch die Sportler im am Beckenrand entlanggehen, um zu den duschen zu gelangen.
Auf der gegenüberliegenden seite des Ganges befindet sich ein Kinosaal mit 250 Sitzen und ein Soldatenheim mit einer kleinen Küche, einem Lager und der Raucherstube und Rauchfreistube. Alle Räume sollten durch ein hochmodernes Abluftsystem gehizt und gekühlt werden.
Doch in dieser Konstruktion (ehemalige Geschützrohre mit provisorisch hineingeschraubten Propellern) lag der fatale Baufehler: Der feuchte Chlordunst des Hallenbades zieht sich durch die Röhrenanlage in alle Räume, sodass auch der Almdudler oder das Bier nach Chlor riechen und die schweren Kunstsamtdrapperien des Kinosaals den Chlorduft von Duschvorhängen verströmen.
Nach der Übernahme durch das Österreichische Bundesheer 1955 wurde das große Hallenbadmosaik 'Stalin schenkt der Welt Wasser zum Leben' mit einer billigen Lärchenholzvertäfelung überkleidet, die allerdings aufgrund der Feuchtigkeit der Duschen und des Chlors aus dem schwimmbad schon zu verfaulen beginnt.
Das verursachende Hallenbad:
Art
Theatre
Besitzende Organisation

Kommentare

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Jul 22, 2025 07:49

Ich frage mich, wie viele Leute dort nicht an sich halten konnten. Sehr passener Titel des Artikels und der Sarkasmus im Namen des Hallenbadmosaiks ist voll mein Humor. Schöner Artikel ;).

Summer Camp is back! Rippling waves lead you to my answers of this year's prompts.